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Alles bleibt anders (German Edition)

Alles bleibt anders (German Edition)

Titel: Alles bleibt anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Langer
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Zeitpunkt 1944 gewesen. In beiden Varianten existierten eine Karen Degner, ein Tristan Hartwig, ein Dieter Wiegand und ein Frank Miller.
So unwahrscheinlich für Frank diese Lösung seiner Misere schien, es war die einzig korrekte. Die einzelnen Fragmente seiner Erinnerung, die in Bildern und Tönen zu ihm zurückströmten, setzten sich immer mehr zu seiner wahren Vergangenheit zusammen.
Karen kam auf das Experiment zu sprechen, an dem sie selbst nicht mehr teilgenommen hatte.
»Moment«, meinte Frank, »dies hier ist keine Welt, wie sie sich erst seit 1944 von der unterscheidet, an die ich mich jetzt wieder langsam erinnere. Es wirkt eher so, als wäre ums wilhelminische Neunzehnhundert die Zeit stehen geblieben.«
»Dass etwas schief gelaufen war, wurde Robert und Tristan schnell klar, als weder du dich zurückmeldetest, noch Dieter. Auch hatten die Rechner-Monitore bereits während eurer Transfers geflackert, wofür weder Robert noch Tristan eine Erklärung hatte. Was allerdings nicht funktioniert hatte, wurde ihnen erst viel, viel später klar. Doch der Reihe nach.«
Der Messner kümmerte sich inzwischen darum, ein eher hässliches Ding in einem gusseisernen Gestell neben dem rechten Seitenaltar zu dekorieren, das mehr einer Vogeltränke, als irgendetwas anderem glich und in seiner Geschmacklosigkeit nicht so recht in die Würde der Dreifaltigkeitskirche passen wollte.
»Tage, Wochen, Monate der Gefangenschaft schlossen sich meiner Verhaftung an. Was draußen bei euch passiert war, wusste ich lange nicht. Auch nicht, an welchem Ort ich festgehalten wurde. Sie hatten mich in einem geschlossenen Wagen abtransportiert und erst viel später erfuhr ich, dass ich mehr als sechs Monate im Gefängnis der SS in Hohenschönhausen gewesen war. Für jeden Gefangen gibt es dort zwei Leute, die für dessen Befragung zuständig sind. Den kurzen Ruheperioden – von Schlaf konnte man nicht reden – schlossen sich stets lange und anstrengende Verhöre an. Sie hatten einen speziellen Trakt dort in Hohenschönhausen, in dem ausschließlich Zellen für die Befragungen waren, fensterlose Zellen. Einer – es waren ausschließlich Männer dort – saß mit dem Rücken zur Wand vor dem Gefangenen, ein Schreibtisch zwischen sich und dem Häftling; ob der andere hinter dem eigenen Rücken saß oder stand, bemerkte man oftmals nicht, auch nicht, ob er zuweilen den Raum verließ. Endlose, quälende Stunden zogen sich die Verhöre in die Länge. Immer dieselben Fragen, immer dieselben Antworten. Immer dieselben Gesichtsausdrücke des SS-Offiziers, mal zynisch-verletzend, mal väterlich-fürsorglich, dann wieder böswillig, menschenverachtend. Er schrie mich an, dann streichelte er mir über den Kopf. Er tätschelte mir die Wange, um mir dann eine Ohrfeige zu verpassen.«
Ihre Hand wanderte, leicht zitternd, zu ihrem Gesicht und ihre Fingerspitzen berührten eine Stelle, an der sie, wie Frank jetzt erkennen konnte, etwas uneben Hervortretendes großflächig mit dicker Krem kaschiert hatte.
»Zu trinken gab es nach der Befragung; vorher nur, wenn es der Offizier für angebracht hielt: als Lohn, oder als Anreiz. Zurück in meiner Einzelzelle brannte tagein, tagaus eine Neonröhre; Fenster gab es keines. Irgendwann hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren, da auch die Verhörzimmer ausschließlich durch künstliches Licht beleuchtet wurden. Ich vermute, dass die Trakte alle unterirdisch waren. Die Pritsche in der Zelle durfte nur nach zeitlichen Vorgaben ausgeklappt werden. Die Anweisungen dazu wurden durch die Zellentür gebrüllt. Dass ein zeitliches System dahinter steckte, bezweifle ich. Setzte oder legte ich mich auf den Boden, wurde ich gemaßregelt. Es wirkte gerade so, als ob ich ständig durch ein Guckloch oder eine versteckte Kamera beobachtet wurde.«
»Hast du versucht, dich zu widersetzen?«, fragte Frank vorsichtig.
»Zu Anfang ja. Doch sie hatten Mittel und Wege, meinen Widerstand zu brechen. Hast du eine Ahnung davon, wie es sich anfühlt, wenn man mehrere Stunden in einen Raum eingesperrt ist, der kleiner ist als ein Schrank? Zu nieder, um aufrecht zu stehen, doch zu eng, um sich hinzusetzen, die Muskeln über lange Zeiträume angespannt und verkrampft? Oder wie es ist, in einem Gestell fixiert zu sein, ohne die Möglichkeit zu haben, auch nur den Kopf zu drehen und im Sekundenrhythmus tropft Wasser auf deinen Schädel?«
Frank schwieg.
»Und das Perfideste daran: Niemand kann dir danach die Folter ansehen! Es werden keinerlei

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