Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)
Dschungel befreit wurden, und sie mit so rücksichtslosen und dummen Fragen bedrängten wie, ob man sie vergewaltigt hätte, ob sie gesehen hätten, wie andere Gefangene vergewaltigt wurden, oder – eine Frage an Clara Rojas – ob sie versucht hätte, das Kind, das sie von einem Guerrillero bekommen hatte, in einem Fluss zu ertränken. »Dieser Journalismus«, schreibt Tomás Eloy Martínez, »wird nicht müde, die Opfer zu Figuren eines Spektakels zu machen, dessen einzige Funktion, auch wenn man es als notwendige Information ausgibt, darin besteht, die perverse Neugier der Konsumenten des Skandals zu befriedigen.« Sein Einspruch war berechtigt, keine Frage. Sein Irrtum bestand in der Annahme, »die perverse Neugier der Konsumenten des Skandals« betreffe nur eine Minderheit. Das stimmt nicht, denn diese Neugier frisst an jenen breiten Mehrheiten, die wir im Blick haben, wenn wir von der »öffentlichen Meinung« sprechen. Es ist ebendiese verleumderische, obszöne und frivole Neigung, die in unserer Kultur den Ton angibt und so die stürmische Nachfrage schafft, welche die gesamte Presse, in unterschiedlichen Graden und Ausprägungen, zu bedienen hat, die seriöse genau wie die, die unverhüllt auf den Skandal zielt.
Ein weiterer Stoff, der den Leuten das Leben freundlich gestaltet, sind Katastrophen – welche auch immer, von Erdbeben und Tsunamis bis zu Serienmorden, gerne mit Sadismus und sexueller Perversion als Beigabe. Weshalb auch die verantwortungsvollsten Journalisten nicht verhindern können, dass die Berichte sich mit Blut färben und gespickt sind mit Leichen und Pädophilen. Denn es ist diese morbide Kost, die das Verlangen nach dem Unfassbaren braucht und wonach es heischt, ein Verlangen, das vonseiten des lesenden, zuhörenden oder zuschauenden Publikums unbewusst Druck auf die Massenmedien ausübt.
Jede Verallgemeinerung ist trügerisch, man kann nicht alles über einen Kamm scheren. Natürlich gibt es Unterschiede, und einige Medien versuchen dem Druck standzuhalten, ohne die alten Ideale von Seriosität, Objektivität, Genauigkeit und Wahrheit aufzugeben, auch wenn es langweilig sein mag und bei den Lesern und Zuhörern jenes große Gähnen hervorruft, von dem Octavio Paz sprach. Doch die traurige Wahrheit ist, dass heute keine Tageszeitung, Zeitschrift oder Nachrichtensendung überleben, das heißt: das Publikum weiter an sich binden kann, wenn sie sich dem Mainstream völlig verschließt. Selbstverständlich sind die großen Verlagshäuser keine Wetterfähnchen, die ihre redaktionelle Linie, ihre Prioritäten und ihr moralisches Verhalten allein nach den Ergebnissen von Marktforschungen ausrichten. Ihre Funktion ist es auch, Orientierung zu bieten, Rat zu geben, zu erziehen und aufzuklären über das, wasrichtig ist und was falsch, gerecht und ungerecht, schön und verabscheuenswert. Aber um diese Funktion zu erfüllen, braucht es nun mal ein Publikum. Und die Zeitung oder Sendung, die nicht vor dem Altar des Spektakels betet, läuft heute Gefahr, es zu verlieren.
Es liegt nicht in der Macht der Journalisten allein, die Kultur des Spektakels, zu deren Prägung sie so viel beigetragen haben, zu verändern. Sie ist eine in unserer Zeit verwurzelte Realität, eine Art zu sein, zu leben und vielleicht zu sterben in dieser Welt, die uns zuteilwurde, uns, den glücklichen Bürgern jener Länder, denen die Demokratie, die Freiheit, die Ideen, die Werte, die Literatur und die Kunst das Privileg geschenkt haben, Unterhaltung zum Höchsten zu erheben und ein allgemeines Recht zu etablieren, zynisch auf alles herabzuschauen, was langweilt, beunruhigt und uns daran erinnert, dass das Leben nicht nur Vergnügen ist, sondern auch Drama, Schmerz, Mysterium und Enttäuschung.
Vorgeschichte
Prüfstein
Elefantenkacke
In England sind, man mag es kaum glauben, Kunstskandale noch möglich. Die altehrwürdige Royal Academy of Arts, jene private, 1768 gegründete Einrichtung, die in ihren Galerieräumen in Mayfair gewöhnlich Retrospektiven großer Klassiker zeigt oder moderne, von der Kritik mit den höheren Weihen bedachte Künstler, steht in diesen Tagen im Mittelpunkt eines solchen Skandals, zum Entzücken der Presse wie auch des Biedervolks, das sonst keine Zeit mit Ausstellungen verliert. Diesmal jedoch werden die Massen herbeiströmen und so – alles hat auch sein Gutes – der darbenden Royal Academy erlauben, ihre chronischen finanziellen Nöte noch ein Weilchen durchzustehen.
Ob sie das als Ziel
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