Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)

Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)

Titel: Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
Journalismus vom Boulevard schied, ist porös geworden und hat sich in vielen Fällen so weit aufgelöst, dass es schwer ist, einen Unterschied überhaupt noch festzustellen. Denn wo die Unterhaltung zum höchsten Wert wird, bleibt es nicht aus, dass dies auch in den Medien Veränderungen bewirkt: Nachrichten werden wichtig oder zweitrangig nicht aufgrund ihrer ökonomischen, politischen, kulturellen oder gesellschaftlichen Bedeutung, sondern in Abhängigkeit von ihrem Neuigkeitspotenzial; weil sie überraschend, ungewöhnlich, skandalös und spektakulär sind oder eben nicht. Im Einklang mit dem unausgesprochenen kulturellen Auftrag unserer Zeit versucht der Journalismus, informierend zu unterhalten, mit dem unvermeidlichen Ergebnis, dass er eine Presse befördert, die ebenfalls light ist, seicht, ansprechend, oberflächlich, kurzweilig, und die im Extremfall, sofern solche berichtenswerte Informationen nicht zur Hand sind, diese selber produziert.
    Weshalb es auch nicht weiter verwundert, dass die Presseerzeugnisse, die sich die größte Leserschaft erschlossen haben, heute nicht die seriösen, nach Genauigkeit, Wahrheit und Objektivität in der Berichterstattung strebenden Publikationen sind, sondern Klatschzeitschriften, die einzigen, die mit ihren Millionenauflagen die heutige Medienkonkurrenz zu überleben in der Lage sind. Einbrüche erlebt vor allem die Presse, die noch gegen den Strom rudert, die Verantwortung zeigt und versucht, den Leser mehr zu informieren als zu unterhalten oder zu amüsieren. Aber was soll man sagen zu einem Phänomen wie ¡Hola! ? Diese Illustrierte, die jetzt nicht mehr nur auf Spanisch erscheint, sondern in elf Sprachen, wird weltweit gierig gelesen – vielleicht sollte man besser sagen: durchgeblättert –, darunter Leser in den kultiviertesten Ländern der Erde wie Kanada und England, Leser, die sich, und das ist erwiesen, beglücken lassen von Nachrichten über die Reichen, Schönen und Berühmten in diesem Jammertal, wie sie heiraten, sich trennen, wiederheiraten, sich anziehen, ausziehen, streiten und versöhnen und ihre Millionen ausgeben, Nachrichten über ihre Capricen und geschmacklichen Vorlieben, Ablieben und Irrlieben. Als 1989 die englische Ausgabe von ¡Hola! erschien, Hello! , lebte ich in London und konnte selber sehen, mit welch atemberaubenderGeschwindigkeit dieses spanische Pressegewächs das Land Shakespeares eroberte. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass ¡Hola! und artverwandte journalistische Produkte die authentischsten der Kultur des Spektakels sind.
    Wird aus der Information ein Vergnügungsinstrument, öffnen sich nach und nach die Tore des Erlaubten hin zu dem, was früher nur in einem Randbezirk des Journalismus eine zuweilen heimliche Zuflucht fand: dem Skandal, dem Vertrauensbruch, dem Gerede, der Verletzung der Privatsphäre, wenn nicht gar der glatten Lüge, der Verleumdung und der Schmähung.
    Denn es gibt kein wirksameres Mittel der Unterhaltung und des Amüsements, als die niederen Leidenschaften des Durchschnittsbürgers zu schüren. Und dabei ist die Enthüllung der Intimsphäre der Mitmenschen geradezu ein Markenzeichen, vor allem wenn es sich um eine bekannte und angesehene öffentliche Person handelt, ein Sport, den der heutige Journalismus, geschützt vom Recht auf Meinungsfreiheit, ohne jeden Skrupel betreibt. Zwar gibt es hierzu Gesetze, und in einigen – seltenen – Fällen kommt es zu Prozessen und Gerichtsurteilen, die die Exzesse ahnden, aber dergleichen Unsitte greift immer weiter um sich und hat es tatsächlich geschafft, dass sich die Privatsphäre heute auflöst, dass, wer immer die öffentliche Bühne betritt, kein Eckchen seines Lebens mehr hat, das geschützt davor wäre, durchleuchtet, enthüllt und bewirtschaftet zu werden, nur um diesen Heißhunger nach Unterhaltung und Vergnügen zu stillen, den Zeitungen, Zeitschriften und Nachrichtensendungen berücksichtigen müssen, wenn sie nicht aus dem Markt gedrängt werden wollen. Undindem sie so agiert, als Antwort auf ein Bedürfnis des Publikums, trägt die Presse, wenn auch ungewollt und unbewusst, mehr als sonst wer dazu bei, diese Kultur light zu festigen.
    In einem seiner letzten Artikel, »Kein Erbarmen mit Ingrid und Clara« 8 , empört sich Tomás Eloy Martínez darüber, wie die Journalisten der Sensationspresse sich auf Ingrid Betancourt und Clara Rojas stürzten, als die nach ihrer Entführung durch Mitglieder der FARC und sechs Jahren im kolumbianischen

Weitere Kostenlose Bücher