Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)
gesellschaftlicher Gewalt und rechtswidrigen Geschäften. Das Regime hatte ein Gesetz zur inneren Sicherheit der Republik verkündet, das die Parteien aller Rechte beraubte, und eine strenge Zensur verhinderte, dass in Zeitungen, Zeitschriften oder im Radio (Fernsehen gab es damals in Peru noch nicht) auch nur die geringste Kritik an der Regierung aufschien. Dafür wurde allenthalben das Loblied auf den Diktator und seine Spießgesellen gesungen. Der gute Bürger sollte sich seiner Arbeit und den häuslichen Belangen widmen und nicht in das öffentliche Leben einmischen, das allein Sache derer blieb, die unter dem Schutz der Streitkräfte die Macht ausübten. Die Repression sperrte die Führer der APRA, der Kommunisten und der Gewerkschaften ins Gefängnis. Hunderte von Mitgliedern dieser Parteien und Personen, die mit der weggeputschten demokratischen Regierung von José Luis Bustamante y Rivero (1945-1948) in Verbindung standen, mussten ins Exil gehen.
Es gab heimliche politische Aktivitäten, aber nicht viele, zu hart wurden sie verfolgt. Die Universität San Marcos war eines der Zentren dieser Untergrundaktion, und beteiligt waren fast ausschließlich Apristen und Kommunisten, selber erbitterte Gegner. Aber unter der Masse der Studenten und Akademiker waren sie eine Minderheit; die apolitische Haltung, die Odría wie alle Diktaturen dem Land verordnete, hatte, ob aus allgemeiner Angst oder Apathie, auch dort um sich gegriffen.
Ab Mitte der fünfziger Jahre wurde das Regime immer unbeliebter. Und so wagte es eine wachsende Zahl von Peruanern, sich politisch zu betätigen, das heißt, sich auf Versammlungen, bei Streiks oder mit Veröffentlichungen der Regierung, ihren Polizisten und Schlägern entgegenzustellen, bis man sie gezwungen hatte, Wahlen einzuberufen, die 1956 schließlich dem »Jahracht« ein Ende setzten.
Kaum waren der Rechtsstaat wiederhergestellt, das Gesetz zur inneren Sicherheit abgeschafft, die Pressefreiheit und das Recht auf Kritik auferstanden, die verbotenen Parteien legalisiert und neue Parteien zugelassen, kehrte die Politik ins Zentrum des Geschehens zurück, verjüngt und mit neuem Prestige. Wie immer, wenn auf eine Diktatur eine freiheitliche Ordnung folgt, zeigten viele Peruanerinnen und Peruaner nun staatsbürgerliches Engagement, sahen mit Optimismus auf die Politik, betrachteten sie als Mittel, um die Übel des Landes zu bekämpfen. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass sich in diesen Jahren die hervorragendsten Fachleute, Unternehmer, Akademiker und Wissenschaftler aufgerufen fühlten, das öffentliche Leben mitzubestimmen, angetrieben von einem selbstlosen Willen, Peru zu dienen, was sich auch in dem 1956 gewählten Parlament spiegelt. Nie wieder hat das Land einen Senat und einen Kongress von solch intellektuellem und moralischem Rang gehabt. Ähnliches gilt für all jene, die in diesen Jahren Minister waren oder andere öffentliche Ämter bekleideten oder die von der Oppositionsbank aus die Regierung kritisierten und Alternativen vorschlugen.
Womit ich nicht sagen will, dass die Regierungen von Manuel Prado (1956-1962) und Fernando Belaúnde Terry (1963-1968) – mit dem Intermezzo einer Militärjunta (1962-1963), um nicht aus der Übung zu kommen – erfolgreich gewesen wären. Das waren sie tatsächlich nicht, denn 1968 war es mit dieser demokratischen Phase von kaum mehr als zehn Jahren schon wieder vorbei, und es folgte eine weitere Militärdiktatur – unter den Generälen Juan Velasco Alvarado und Francisco Morales Bermúdez –, die zwölf Jahre dauern sollte (1968-1980). Worauf ich hinauswill, ist, dass in den Jahren nach 1956 die Politik von der peruanischen Gesellschaft nicht mehr wahrgenommen wurde als ein verachtenswertes Geschäft; sie nährte vielmehrdie Hoffnungen all jener, die in ihr nun eine Möglichkeit sahen, die Energien und Begabungen zu bündeln, auf dass aus diesem rückständigen und verarmten Land eine freie und blühende Nation werde. Die Politik wurde für ein paar Jahre anständig, weil die anständigen Leute sich aufrafften und, statt ihr aus dem Weg zu gehen, Politik gestalteten.
Heute ist nach allen Umfragen eine große Mehrheit der Bürger der Meinung, Politik sei eine mediokre und schmutzige Tätigkeit, welche die Ehrlichsten und Fähigsten abstoße und vor allem Nieten und Schlitzohren anlocke, deren Interesse es allein sei, schnell reich zu werden. Dieses Phänomen beschränkt sich nicht auf die Dritte Welt. Der Ansehensverlust der
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