Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)
Benavides, als ein Taxifahrer in Lima ihm sagte, er werde Keiko Fujimori wählen, die Tochter des Diktators, der als Dieb und Mörder eine fünfundzwanzigjährige Haftstrafe verbüßt. »Macht es Ihnen nichts aus, dass der Präsident Fujimori ein Verbrecher war?«, fragte er den Taxifahrer. »Nein«, sagte der, »Fujimori hat nicht zu viel gestohlen.« Nicht zu viel! Diese Antwort fasst auf unübertrefflicheWeise zusammen, was ich zu erklären versuche. Die zuverlässigste, von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Schätzung des von Alberto Fujimori und seinem starken Mann, Vladimiro Montesinos, in ihren zehn Jahren an der Macht (1990-2000) unterschlagenen Geldes beläuft sich auf etwa sechs Milliarden Dollar, von denen die Schweiz, die Cayman-Inseln und die USA bisher gerade mal hundertvierundachtzig Millionen an Peru zurückgegeben haben. Der Taxifahrer war nicht der Einzige, der eine solche Beute für akzeptabel hielt, denn auch wenn die Tochter des Diktators die Wahlen von 2011 verlor, hätte sie doch beinahe gewonnen: Ollanta Humala besiegte sie nur mit einem knappen Vorsprung von drei Prozentpunkten.
Nichts demoralisiert eine Gesellschaft und diskreditiert die Institutionen so sehr wie der Missbrauch ihres Vertrauens durch Regierende, die, gewählt bei mehr oder weniger sauberen Abstimmungen, die Macht benutzen, um sich zu bereichern. In Lateinamerika ist es der Drogenhandel gewesen, der den öffentlichen Sektor am weitesten in die Kriminalität getrieben hat. Er ist eine echte Industrie, die sich modernisiert hat und außerordentliche Zuwachsraten verzeichnet, denn wie keine andere hat sie von der Globalisierung profitiert, hat ihre Netzwerke über die Grenzen hinaus ausgeweitet, hat sich diversifiziert und in der Legalität neue Geschäftsfelder erschlossen. Ihre riesigen Gewinne erlauben ihr, in alle Bereiche des Staates einzudringen. Und da sie besser zahlen kann als der Staat, werden Richter, Abgeordnete und Minister, Polizisten und Beamte gekauft und bestochen, oder es wird eingeschüchtert und erpresst, womit man sich vielerorts der Straflosigkeitversichert. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht in irgendeinem lateinamerikanischen Land ein neuer Fall von Korruption in Verbindung mit Drogenhandel bekannt wird. Die Kultur, wie wir sie heute erleben, sorgt dafür, dass all das nicht den kritischen Geist der Gesellschaft mobilisiert, sondern vom großen Publikum mit derselben Resignation, demselben Fatalismus betrachtet wird, mit dem es Naturereignisse hinnimmt – Erbeben, Tsunamis –, oder wie eine Theateraufführung, die, wie tragisch oder blutig auch immer, große Gefühle hervorruft und den Alltag schmiert.
Natürlich ist die Kultur nicht allein schuld an der Entwertung von Politik und Staatsdienst. Ein weiterer Grund dafür, dass die geeignetsten Persönlichkeiten hier auf Distanz gehen, ist die allgemein schlechte Bezahlung. Praktisch in keinem Land der Welt ist die Entlohnung im öffentlichen Sektor vergleichbar mit dem, was ein junger Mensch mit Talent und guten Referenzen in einem privaten Unternehmen verdienen kann. Die Gehaltsbeschränkungen finden allgemein Zuspruch, vor allem wenn das Image des Staatsdieners am Boden liegt, aber die Auswirkungen sind fatal. Die niedrigen Gehälter laden zur Korruption ein, und die am besten ausgebildeten und redlichsten Bürger halten sich von den öffentlichen Einrichtungen fern, was heißt, dass die Posten oft von inkompetenten Leuten besetzt werden oder von solchen, die es mit der Moral nicht allzu genau nehmen.
Damit eine Demokratie richtig funktioniert, braucht es eine fähige und ehrliche Bürokratie, Verwaltungen wie jene, die in der Vergangenheit die Größe Frankreichs, Englands und Japans ausgemacht haben, um nurdrei Beispiele zu nennen. Bis vor gar nicht langer Zeit war in diesen Ländern dem Staat zu dienen ein begehrtes Karriereziel, denn es wurde einem gelohnt, mit Respekt, Ehrbarkeit und dem Bewusstsein, zum Fortschritt der Nation beizutragen. Die Beamten erhielten im Allgemeinen angemessene Gehälter, und ihre Zukunft war leidlich abgesichert. Auch wenn viele von ihnen in privaten Unternehmen mehr hätten verdienen können, bevorzugten sie den öffentlichen Dienst, denn was sie hier aufgaben, wurde da durch das Gefühl wettgemacht, geachtet zu sein, ihre Mitbürger erkannten an, wie wichtig die von ihnen ausgeübte Funktion war. Heute kann davon keine Rede mehr sein. Der Beamte verliert genauso an Ansehen wie der Berufspolitiker, und die
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