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Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)

Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)

Titel: Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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glauben mochte, die Politik halte sich an hohe ethische Standards, getrübt nur durch gelegentlichen Unterschleif und Vorteilsnahmen einzelner Staatsdiener. Der Skandal um den mächtigen Rupert Murdoch, Eigentümer des Medienimperiums News Corporation, und die Londoner Sonntagszeitung News of the World , die zu schließen er sich trotz ihrer ungeheuren Popularität genötigt sah, als herauskam, dass man, um die Klatschsucht zu bedienen, die das Geheimnis ihres Erfolgs war, die Telefone von mehreren tausend Personen abgehört hatte, darunter Mitglieder der Königsfamilie und ein entführtes Mädchen, dieser Skandal hat gezeigt, welch unseligen Einfluss eine derartige Presse auf die Institutionen und die Politiker haben kann. News of the World hatte auf der Lohnliste hochrangige Beamte von Scotland Yard, bestach Politiker und setzte Detektive ein, um das Privatleben prominenter Persönlichkeiten auszuschnüffeln. Die Macht der Zeitung war so groß, dass Minister, Beamte und selbst Premierminister ihre Herausgeber und leitenden Angestellten umwarben, aus Furcht, die Zeitung könnte sie in einen Skandal verwickeln, der ihren Ruf und ihre Zukunft zugrunde richtete.
    Natürlich ist es gut, dass all das ans Licht gekommen ist, und die Justiz möge den Schuldigen ihre gerechte Strafe auferlegen. Aber ich bezweifle, dass mit solchen Sanktionen das Übel ausgerottet wird, denn seine Wurzeln reichen bis tief in alle Schichten der Gesellschaft.
    Und dort treffen wir wieder auf die Kultur. Genauergesagt auf die unterhaltsame Banalisierung, welche die herrschende Kultur betreibt. Die Leute schlagen eine Zeitung auf, gehen ins Kino, schalten den Fernseher an oder kaufen ein Buch, um es sich gutgehen zu lassen, im plattesten Sinne des Wortes, nicht um sich den Kopf mit Zweifeln, Sorgen und Problemen zu zermartern. Man will abgelenkt werden, die ernsthaften, tiefgehenden, beunruhigenden und schwierigen Dinge vergessen, sich einem leichten, freundlichen, oberflächlichen, fröhlichen und im Grunde dummen Amüsement hingeben. Und gibt es Vergnüglicheres, als die Intimsphäre der Mitmenschen auszuspionieren, einen Minister oder Abgeordneten in Unterhose zu erwischen, den sexuellen Verirrungen eines Richters nachzugehen, zu sehen, wie jene, die als achtbar und vorbildlich galten, durch den Schmutz waten?
    Die Sensationspresse verdirbt niemanden; sie ist von Anfang an verdorben durch eine Kultur, die nicht die plumpe Einmischung in das Privatleben der Leute verurteilt, sondern nach ihr verlangt, denn dieser Zeitvertreib, im Dreck der anderen herumzuschnüffeln, macht den Arbeitstag des pünktlichen Beamten, des gelangweilten Angestellten und der erschöpften Hausfrau erträglicher. Die Gedankenlosigkeit ist zur Königin und Herrscherin über das postmoderne Leben geworden, und die Politik ist eins ihrer ersten Opfer.
    Tatsächlich sind es die Politiker, denen die Massenmedien die wohl würdeloseste Rolle zuweisen. Was ein weiterer Grund dafür ist, dass es in der politischen Welt von heute so wenige Persönlichkeiten vom Format eines Nelson Mandela oder einer Aung San Suu Kyi gibt, die rund um den Globus bewundert werden.
    Hinzu kommt, auch das eine Folge von alldem, dass das große Publikum (wenn überhaupt) nur spärlich auf die Korruption reagiert, eine Korruption, die in den entwickelten Ländern wie in den sogenannten Entwicklungsländern, in den autoritären Gesellschaften wie in den Demokratien den vielleicht höchsten Stand in der Geschichte erreicht hat. Null-Bock-Mentalität und Snobismus schläfern eine Gesellschaft moralisch und pragmatisch ein, und so wird sie immer nachsichtiger gegenüber den Abirrungen und Exzessen jener, die öffentliche Ämter bekleiden und über Macht verfügen. Andererseits kommt es zu dieser Laxheit in einer Zeit, da das Wirtschaftsleben sich auf dem ganzen Planeten so weit entwickelt und einen solchen Grad an Komplexität erlangt hat, dass die Kontrolle der Macht, wie sie die Gesellschaft über die unabhängige Presse und die Opposition ausüben kann, sehr viel schwieriger geworden ist. Und die Dinge verschärfen sich, wenn der Journalismus, statt seiner Kontrollfunktion gerecht zu werden, es vor allem als seine Aufgabe betrachtet, die Leser, Hörer oder Zuschauer mit Klatsch und Skandalen zu unterhalten. Das alles befördert nur eine tolerante oder gleichgültige Haltung gegenüber der Unmoral.
    Bei den letzten Präsidentschaftswahlen in Peru wunderte sich der Schriftsteller Jorge Eduardo

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