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Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)

Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)

Titel: Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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öffentliche Meinung sieht in ihm nicht einen Agenten des Fortschritts, sondern ein Hindernis und einen Schmarotzer auf Kosten des Staates. Natürlich hat das Aufblähen der Bürokratie, der unverantwortliche Stellenzuwachs, um politische Gefälligkeiten zu erweisen und eine ergebene Klientel an sich zu binden, die öffentliche Verwaltung zuweilen in ein Labyrinth verwandelt, wo die kleinste Formalität für den Bürger, der über keinen Einfluss verfügt und kein Schmiergeld zahlen kann oder will, zu einem wahren Albtraum wird.
    Aber es wäre ungerecht, zu verallgemeinern und alle in einen Sack zu stecken, solange es noch viele gibt, die der Apathie und dem Pessimismus widerstehen und so unauffällig wie couragiert beweisen, dass die Demokratie sehr wohl funktioniert.
    Ein weit verbreiteter, aber irriger Glaube ist, die freiheitlichen Demokratien würden von der Korruption ausgehöhlt, die Korruption würde endlich verwirklichen, was der dahingeschiedene Kommunismus nicht vermochte: sie zum Einsturz zu bringen. Kommen nicht Tag für Tag, in den alten Demokratien wie in den allerjüngsten, widerliche Fälle ans Licht, in denen Regierende und Beamte sich ihrer politischen Macht bedienen, um mit astronomischer Geschwindigkeit Vermögen anzuhäufen? Zählt noch jemand die bestochenen Richter, die heimlichen Absprachen, die Militärs, Polizisten, Minister, Zollbeamten auf den Lohnlisten von Konzernen? Ist das System nicht schon derart verfault, dass man nur noch resignieren und akzeptieren kann, dass die Gesellschaft ein immerwährender Dschungel ist, in dem die Raubtiere das Lämmchen fressen?
    Eine solch pessimistische und zynische Haltung ist es, nicht die verbreitete Korruption, die den freiheitlichen Demokratien vielleicht tatsächlich ein Ende bereitet, denn sie entkernt sie, macht sie zu dem, was die Marxisten mit der Bezeichnung »formale« Demokratie ins Lächerliche zogen. Oft ist es eine unbewusste Einstellung, und sie äußert sich in achtloser Gleichgültigkeit gegenüber dem öffentlichen Leben, Skepsis gegenüber den Institutionen, Unlust, sie auf die Probe zu stellen. Aber wenn beträchtliche Teile einer von der Unschlüssigkeit erodierten Gesellschaft ohnehin nur noch schwarzsehen und sich innerlich von ihr verabschieden, ist das Feld frei für die Wölfe und Hyänen.
    Doch so weit muss es nicht kommen. Das demokratische System ist zwar kein Garant dafür, dass Betrug und Gaunerei aus dem menschlichen Verkehr verschwinden, aber es kennt Mechanismen, um die Schäden möglichst zu begrenzen, um diejenigen zu bestrafen, die illegal handeln, und, viel wichtiger noch, um das System aufeine Weise zu reformieren, dass dergleichen Vergehen für die Täter immer größere Risiken bergen.
    In keiner der heutigen Demokratien streben die jüngeren Generationen danach, dem Staat mit jener Begeisterung zu dienen, mit der sich noch vor wenigen Jahrzehnten die idealistische Jugend in der Dritten Welt der revolutionären Aktion verschrieb. Diese Hingabe führte in den sechziger und siebziger Jahren Hunderte von jungen Leuten in den Dschungel und die Berge fast ganz Lateinamerikas, Menschen, die in der sozialistischen Revolution ein Ideal sahen, das es wert war, dafür ihr Leben zu geben. Es war ein Irrtum zu glauben, der Kommunismus sei besser als die Demokratie, keine Frage, aber eine entschlossene Haltung kann man ihnen nicht absprechen. In anderen Ländern wie in Afghanistan, Pakistan oder dem Irak opfern sich vom islamischen Fundamentalismus beseelte Jugendliche, verwandeln sich in Bomben und löschen das Leben Dutzender von Unschuldigen aus, fest davon überzeugt, dieses Hinmorden würde die Welt von Frevlern, Lüstlingen und Kreuzfahrern reinigen – ein terroristischer Wahn, den man nur ablehnen und verurteilen kann.
    Aber wenn wir sehen, was heute in der arabischen Welt geschieht, spüren wir da nicht wieder etwas von dieser verlorengegangenen Begeisterung? Zeigt es uns nicht, dass die Kultur der Freiheit lebendig ist und sehr wohl in der Lage, der Geschichte eine radikale Wende zu geben, selbst dort, wo dies so gut wie unmöglich schien? Der Aufstand der arabischen Völker gegen die korrupten Regime, die sie ausbeuteten und für dumm verkaufen wollten, hat bereits drei Tyrannen gestürzt, in Ägypten Mubarak, in Tunesien Ben Ali und in Libyen Muammar al-Gaddafi. Alle übrigen autoritären Regime in der Region, angefangen bei Syrien, sehen sich bedroht von diesem Erwachen der Millionen, die sich nichts sehnlicher

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