Alles Boulevard: Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst (German Edition)
selbst zu dienen, das heißt denen, die sie verkörpern und verwalten, und dass demnach die Gesetze, Verordnungen und Bestimmungen, die aus ihr hervorgehen, belastet sind mit dem Egoismus Einzelner oder bestimmter Gruppen, was den Normalbürger moralisch von ihrer Einhaltung entbindet. Die meisten befolgen das Gesetz, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt, oder aus Angst, das heißt unter dem Eindruck, dass es mehr schadet als nützt, wenn man versucht, die Regeln zu verletzen. Aber eine solche Haltung schwächt die Legitimität und Kraft einer Rechtsordnung genauso wie die Haltung derjenigen, die sich auf kriminelle Weise über sie hinwegsetzen. Was bedeutet, dass bezüglich der Gesetzestreue die heutige Kultur auch eine Scheinkultur ist, und an vielen Orten wird sie nicht selten zur reinen Farce.
Nichts verdeutlicht diese allgemeine Abkehr vom Gesetz besser als das allenthalben herrschende Piraterieunwesen, ob bei Büchern, DVDs, Videos oder sonstigen audiovisuellen Produkten, vor allem in der Musik, ein Unwesen, das nahezu ungehindert, fast möchte man sagen mit dem Einverständnis aller, sämtliche Länder der Erde erfasst hat.
In Peru zum Beispiel musste die Videotheken-Kette Blockbuster ihre Filialen schließen. Seither können peruanische Filmliebhaber keine DVDs mehr legal bekommen, selbst wenn sie wollten, denn auf dem normalen Markt gibt es praktisch keine mehr, nur noch in ausgesuchten Kaufhäusern, die ein paar Titel importieren und sie teuer anbieten. Das ganze Land beschafft sich Filme als Raubkopien, vor allem auf dem beispiellosen Markt Polvos Azules in Lima, wo ganz offen, unter den Augen der Polizei, die die Händler vor Überfällen und Dieben schützt, tagtäglich für ein paar Sol – Centbeträge nur – Tausende Klassiker oder neue Filme über die Theke gehen, von denen viele bisher noch nicht einmal in den Kinos der Stadt gezeigt wurden. Das Raubgewerbe ist so gut organisiert, dass man seltene Filme in Auftrag geben kann, und nach wenigen Tagen hat man sie in der Hand. Ich nenne den Fall Polvos Azules wegen seiner schieren Größe und kommerziellen Effizienz. Der Markt ist mittlerweile eine Touristenattraktion, und es kommen Leute eigens aus Chile und Argentinien, um sich in Lima mit Raubkopien einzudecken. Aber dieser Markt ist nicht der einzige Ort, wo die Piraterie zusehends und zum allgemeinen Wohlgefallen gedeiht. Wer würde schon Schwarzkopien verschmähen, die einen halben Dollar kosten, wo die legalen (die man eben kaum bekommt) fünfmal teurer sind? Die Verkäufer sind überall, und ich kenne Leute, die ihre DVDs telefonisch bei ihrem »Stammdealer« bestellen, denn es wird auch frei Haus geliefert. Diejenigen unter uns, die sich aus prinzipiellen Erwägungen weigern, Raubkopien zu kaufen, sind ein winzig kleiner Haufen, und man hält uns (nicht ganz zu Unrecht) für ein wenig tumb.
Dasselbe wie mit den DVDs passiert mit den Büchern. Raubdrucke und Gratiskopien haben bemerkenswert zugelegt, vor allem in den Entwicklungsländern, und die Kampagnen der Buchbranche scheitern gemeinhin kläglich ob der – wenn überhaupt – spärlichen Unterstützung durch die Regierungen und vor allem die Bevölkerung, die keine Skrupel kennt, illegale Bücher zu kaufen, schließlich ist ihr Preis ja auch unschlagbar. In Lima sang ein Schriftsteller, Kritiker und Universitätsprofessor öffentlich das Loblied auf die Buchpiraterie, so käme die Literatur zum Volk. Der Diebstahl, den dies bedeutet – gegenüber dem rechtmäßigen Verleger, dem Autor und dem Staat, den der Raubverleger durch Steuerhinterziehung schädigt –, wird von niemandem in Rechnung gezogen, aus schlichter Gleichgültigkeit gegenüber dem Gesetz. Diese Form der Piraterie begann als handwerkliches Gewerbe, aber dank der Straflosigkeit, die sie genießt, hat sie sich so weit modernisiert, dass nicht auszuschließen ist, dass in Ländern wie Peru mit den Büchern dasselbe passiert wie mit den DVDs: dass die Raubdrucker und -kopierer die legalen Verlage in die Insolvenz treiben und am Ende die alleinigen Herren des Marktes sind. Alfaguara, der Verlag, in dem meine Bücher in der spanischsprachigen Welt erscheinen, schätzt, dass für jedes Buch von mir, das in Peru legal erworben wird, sechs oder sieben Raubdrucke verkauft werden. (Eine illegale Ausgabe meines Romans Das Fest des Ziegenbocks wurde sogar in der Druckerei der Armee gedruckt!)
Schlimmer noch als um Filme und Bücher aber steht es um die Musik. Nicht nur wegen
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