Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
Seemannes eine neue Familie gründete. Deshalb muss man sich auf eine lange Antwort gefasst machen, wenn man einen Isländer
fragt, wie viele Geschwister und Angehörige er hat.
Auch der zehnjährige Jón Ágúst kommt manchmal etwas durcheinander, wenn er all seine Halbgeschwister aufzählensoll. Denn seine Mutter Helga hat mit ihrem neuen Mann Birgir (Jóns Stiefvater) noch zwei gemeinsame Kinder: Viktor Ingi ist
vier Jahre alt, Andri Ísak drei. So weit, so gut. Der Stiefvater hat außerdem noch drei Kinder aus zwei vorherigen Beziehungen,
und Jóns leiblicher Vater hat ebenfalls drei weitere Kinder – aus verschiedenen Beziehungen.
Nicht jede isländische Familie ist so weit verzweigt wie Jóns. Sie ist aber auch kein Einzelfall. Helga Jónsdóttir, die Mutter
des Zehnjährigen, wuchs ebenfalls in einer Patchworkfamilie auf. Von ihrem ersten Mann trennte sie sich, als Jón ein Baby
war. »Eigentlich wollte ich einen Partner finden, der noch keine Kinder hat«, gesteht Helga. Doch dann lernte sie Birgir kennen.
Beide kannten sich aus der Nachbarschaft, sie waren vier Jahre zusammen, als weiterer Nachwuchs ins Haus stand.
Wie kommt es, dass Isländer so viele Kinder kriegen? »Wir denken nicht so viel darüber nach«, sagt die 3 8-Jährige . »Es passiert einfach.« Diese Antwort ist immer wieder zu hören – und vermutlich der Schlüssel für den Kindersegen. Die genügend
vorhandenen und bezahlbaren Kita-Plätze helfen dabei.
Helgas Familie lebt in Kópavogur, mit 30 000 Einwohnern ist es nach Reykjavík die zweitgrößte Stadt Islands. Sie liegt direkt südlich der Hauptstadt, ein beschaulicher
Ort, aber mit dem größten Shopping-Center der Insel. Nur fünf Minuten davon entfernt wohnt Helga in einer schmalen Straße
mit Einfamilienhäusern in einem modernen Reihenhaus, der Kindergarten befindet sich circa 400 Meter weiter am Ende der Straße. Dort sind die beiden Jüngsten von 8 bis 15 Uhr, toben im Freien und malen Bilder von Elfen. Der Zehnjährige ist tagsüber in der Schule.
Helga hat Glück, dass ihre Eltern, Schwiegereltern und auch einige der Halbgeschwister und Stiefkinder in der Nachbarschaft
wohnen. Es ist immer jemand da, der die dreifache Mutter unterstützenkann, die nebenbei noch an der Fernuniversität Betriebswirtschaftslehre studiert. Hat die Familie mal keine Zeit, helfen Freunde
oder Nachbarn. Die direkten Nachbarn gehören zwar nicht zu Helgas engstem Freundeskreis, aber sie wüsste, dass auch sie kurz
auf die Kleinen aufpassen würden, wenn es denn nötig wäre. Das soziale Netz funktioniert hier, man verlässt sich aufeinander,
in der Kleinstadt Kópavogur werden die Haustüren meist nicht abgeschlossen.
An diesem Nachmittag sitzt Helga in der Küche, trinkt Kaffee, die drei Söhne tollen um sie herum, zwischendurch stibitzen
sie sich vom Küchentisch Pfannkuchen, die eine ihrer Großmütter gebacken hat. Ihr Zuhause ist mit modernen Möbeln eingerichtet,
an den Wänden hängen Gemälde, im Wohnzimmer steht ein neuer Fernseher, jedes der drei Kinder hat sein Zimmer. Vor dem Haus
parkt ein großer Jeep. Um sich all das leisten zu können, muss die Familie viel arbeiten. Helgas Mann Birgir ist Zimmermann
und hat eine eigene kleine Firma. Sie selbst war früher Maskenbildnerin beim Fernsehen, nach ihrem Studium will Helga als
Buchprüferin tätig sein.
Fünf Jahre ist es her, dass ich Helga und ihre Patchworkfamilie das erste Mal getroffen habe. Dann kam Ende 2008 der Finanzcrash
in Island. Ihr Leben veränderte sich komplett. Im Rahmen der Krise bekam Birgir kaum Aufträge, keiner konnte es sich mehr
leisten, ein Haus bauen zu lassen. Er fand Arbeit in Norwegen, und die Familie überlegt auszuwandern. Die Fernbeziehung belastet
sie, momentan leben Helga und Birgir getrennt. Wahrscheinlich müssen sie ihr Haus verkaufen, der Jeep ist schon weg, immerhin
hat die inzwischen 4 3-Jährige einen sicheren Job in der Finanzabteilung eines Lebensmittelkonzerns. »Es ist nicht einfach, aber ich stehe noch«, sagt Helga.
»Ich habe meine drei Jungs und die Familie.« Sie sind nicht die einzige Familie, die unter der Krise leidet. Helga und ihr
Mann Birgirhoffen, dass sie wieder zueinanderfinden. Sicherlich wünschen sich auch Isländer eine dauerhafte Beziehung, sie gestehen sich
jedoch schneller ein, wenn es nicht klappt. Trennungen sind hart und unromantisch, aber sie ermöglichen einen ehrlichen Umgang
miteinander und die
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