Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
Dampf
emporsteigt, dahinter schwarze, moosbewachsene Lavahügel, auf den Gipfeln liegt ein wenig Schnee. Zeit für eine kurze Pause.
Der jüngste Teilnehmer ist zwölf Jahre alt, der älteste 78. Sie genießen den Ausblick, atmen tief durch. »Wir haben keine Schlösser und Burgen, wir haben die Natur«, ist ein beliebter
Spruch.
In dieser Weite fühlen sie sich frei. Nun könnte man vor dieser Kulisse auch ein wenig Angst bekommen, schließlich reiht sich
Hügel an Hügel, nirgendwo ist ein Zeichen von Zivilisation zu sehen. Doch für die Isländer ist das normal. Auch dass während
der dreitägigen Tour keiner unseren Weg kreuzen wird, irritiertsie nicht. Im Gegenteil: Das macht den Reiz aus. Deshalb wandern sie genau diese Tour und nicht eine der bekannten, klassischen
Routen. Sie wollen sich wie Pioniere fühlen, unentdecktes Land erkunden. Reiseleiterin Ósk Vilhjálmsdóttir geht zügigen Schrittes
voran, in ihrer Freizeit läuft sie Marathon. Seit über zwanzig Jahren arbeitet die heute 4 8-Jährige im Sommer als Guide (im Winter als Künstlerin), mittlerweile hat sie sich auf Hochlandtouren in unbekannte Gebiete spezialisiert.
Sie ist eine zierliche Frau mit langen blonden Haaren. Über ihrem Trecking-Outfit trägt Ósk ein buntes Kleid, so ist sie stets
gut zu erkennen und erinnert an die Fjallkonan, Bergfrau. (Die Fjallkonan ist die weibliche Inkarnation von Island.)
Wer mit Ósk läuft, beschreitet neue Wege. Obwohl die meisten Teilnehmer schon viel in ihrer Heimat gereist sind, war keiner
von ihnen bisher auf dieser Strecke beim Torfajökull-Gebiet. Esgibt kaum vorgetretene Pfade. Auch für Ósk ist jede Tour anders, weil sie stets sehen muss, wie sich das Wetter entwickelt
und wie fit die Mitwanderer sind. Wir machen immer wieder Pausen, schließlich ist das Motto von »Wanderlust«: Genießen statt
rennen.
Unterwegs in Ósks Gruppe
Die Teilnehmer sollen ja die Chance haben, die Natur in Ruhe wahrnehmen zu können, sich inspirieren zu lassen. »Jeder verändert
sich in der Natur, diese Landschaften verändern einen«, sagt Ósk. Bockige Teenager werden plötzlich zu netten, hilfsbereiten
Heranwachsenden; schüchterne Charaktere gehen aus sich heraus und gestresste Politiker sind ganz froh, dass sie im Hochland
niemand erreichen kann. Alle haben dasselbe Ziel: die nächste Etappe zu meistern und völlig in der Natur aufzugehen. Rund
zehn Kilometer wandern wir am ersten Tag entlang der Gebirgsketten, kein Wald trübt den Panoramablick. Die Naturwirkt intensiv auf unsere Körper, wir spüren die frische Luft, die Witterung. Der Wind pfeift uns um die Ohren, mal ist es
diesig, dann nieselt es, und zehn Minuten später lugt die Sonne kurz hervor. Gegen Nachmittag erreicht die Gruppe eine natürliche
Lehmquelle, einige von uns nehmen ein kurzes Bad im vierzig Grad heißen grauen Schlamm. Er ist schwer, tief und stellenweise
sogar noch heißer. Manche finden im Matsch kaum Halt, doch mit Hilfe der Umstehenden krabbeln alle wieder raus. Anschließend
waschen wir uns, so gut es geht, im nahe gelegenen Bach. Jede Stunde in dieser Natur ist eine Erholung, trotz klebrigem Schlamm
in den Haaren und erneutem Regenguss. Langsam verwandeln wir uns mit den Landschaften: laufen und lassen es laufen.
Schnell mal etwas zimmern
Am frühen Abend sehen wir von einem Bergmassiv auf ein von breiten Flüssen durchzogenes Tal mit leuchtend grünen Wiesen. In
der Ferne liegt auf einem schwarzen Lavahügel ein Gebäude: unser Ziel. Eine Stunde später erreichen alle 28 Wanderer Dalakofinn, die Talhütte.
Versprochene Kapazität an Schlafplätzen: 30
Tatsächliche Kapazität: 18
Der Hüttenbesitzer hatte das Holzhaus kurz vorher umgebaut und versprach Reiseleiterin Ósk selbst am Vorabend noch, rechtzeitig
fertig zu werden. »Ja, ja, das klappt schon.« Typisch Island, alles wird auf den letzten Drücker erledigt. Doch wo eigentlich
rund zehn Schlafplätze sein sollten, stapeln sich lediglich ein paar Balken, Bretter und Werkzeuge. Von wegen þetta reddast!
Aber irgendwie dann auch doch wieder, denn als derSchlafplatzmangel entdeckt ist, legen einige Wanderer ohne zu zögern los. Sie basteln eine Zwischenetage, auf der man weitere
Matratzen hinlegen kann; die Treppe, um dort hochzukommen, zimmern zwei Männer aus herumliegenden Brettern.
Keiner beklagt sich, was würde es auch bringen? (Ósk ärgert sich, doch die Teilnehmer beruhigen sie und versichern ihr,
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