Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
Kampf der Menschen mit der unberechenbaren Natur beschreiben, es ist zugleich eine ironische
Anspielung auf die Finanzkrise.
Eigenverantwortung anstatt Zäune
Bei uns würden gefährliche Stellen eingezäunt, doch dann müsste man fast ganz Island einzäunen. Gerade mal vierzig Prozent
des Landes sind bewohnbar, der Rest sind Gletscher, weite Hochebenen und karge Mondlandschaften. Letztere tragen ihren Namen
nicht ohne Grund: Beim Vulkan Askja zum Beispiel absolvierten 1965 und 1967 die amerikanischen Astronauten des Apollo-Programms
ein geologisches Training für ihre bevorstehende Reise zum Mond. Auch Neil Armstrong übte in der schwarzen Wüste das Sammeln
von Steinen.
Wo es keine Sicherheitszäune gibt, ist Eigenverantwortung gefragt und die Hilfsbereitschaft größer. Läuft jemand zu Fuß durch
die Einsamkeit, fährt ein Auto automatisch langsamer und schaut, ob derjenige vielleicht Hilfe braucht. Schließlich könnte
es sein, dass die nächsten Stunden niemand mehr vorbeikommt.Bauern auf abgelegenen Höfen sind es gewohnt, dass gelegentlich Fremde an ihre Tür klopfen oder der Polizist aus der Nachbarschaft
mit gestrandeten Besuchern auftaucht und sagt: »Die schlafen heute Nacht bei euch.« Jeder hat eine Notmatratze oder stellt
ohne zu murren seine Wohnzimmercouch zur Verfügung. Außer einem »takk fyrir«, also Danke, wird nichts erwartet. Heute helfe
ich dir, morgen hilft mir ein anderer. Bricht auf dem Weg zum Flughafen der Mietwagen zusammen, kommt es schon mal vor, dass
selbst ältere Damen freiwillig anhalten und eine ihnen fremde vierköpfige Familie ins dreißig Autominuten entfernte Keflavík
bringen, damit diese ihren Flieger nicht verpasst.
Vom Schnee verweht: einsame Höfe
Auch wenn es inzwischen zahlreiche düstere Island-Krimis gibt, im Alltag passieren auf der Insel nur wenige Verbrechen. Der
Drogenkonsum steigt, am Wochenende prügeln sich Betrunkene, doch es gibt durchschnittlich nur einen Mord pro Jahr. Muss im
Rahmen der Ermittlungen eine DN A-Probe analysiert werden,schickt die Polizei sie nach Schweden, da die Isländer keine Gerätschaften dafür haben.
Lavastrand bei der Halbinsel Dyrhólaey
Touristen spüren schnell, dass der Umgang untereinander hier entspannter ist als zu Hause. Manche Wanderer lassen sich einen
Teil ihres Gepäckes vorschicken, damit sie es nicht die ganze Zeit schleppen müssen. Es wird mit den öffentlichen Bussen transportiert
und auf dem Land meist bei Tankstellen abgegeben. Sie sind in der Einsamkeit die zentralen Anlaufstellen, Busbahnhof, Treffpunkt
der Jugend und Supermarkt zugleich. Dort gehen viele Menschen ein und aus. Ist kein Platz mehr im Lager der Tankstelle, stehen
die Gepäckstücke der Reisenden schon mal tagelang offen und für jedermann sichtbar in einer Ecke des Ladens herum. Ein Touristenpaar,
das diesen Service in Anspruch nahm, kam am Zielort mit dem Abholzettel an. Der Tankwart nickte nur und sagte: »Holt euch
die Taschen einfach selbst.« Das war im Sommer 2002, also kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001, als in vielen Teilen der Welt jedes unbeaufsichtigte Gepäckstück gesprengt wurde. Zugegeben: Wer will schon
einen Traveller-Rucksack klauen? Aber es ist auch symbolisch für ein Land, das keine eigene Armee hat und in dem bisher kein
Bürger bei einem Terroranschlag gestorben ist. Island lehrt einen, den Menschen wieder mehr zu vertrauen. Hätte ich dieses
Wissen schon bei meiner ersten Island-Reise gehabt, wäre mir ein großer Schrecken erspart geblieben. Ich war auf einer mehrtägigen
Wanderung, konnte jedoch die letzte Etappe nicht mitlaufen, weil ich mich verletzt hatte. Also bot mir der Hüttenwart an,
mich mit seinem Pick-up zur nächsten Station mitzunehmen, er müsse dort eh ein paar Besorgungen machen.
Er war ein freundlicher Mann Anfang zwanzig. Anstatt direkt zur Station, einer Tankstelle an der Ringstraße, zu fahren, machte
der Isländer einige Umwege, zeigte mir einen versteckt liegenden Wasserfall und einen Canyon, später fuhr er durch eine karge
Geröllwüste. Kilometerweit war niemand zu sehen, es war, als seien wir auf einem anderen Planeten. Plötzlich bremste der Isländer
abrupt, stieg fluchend aus. Durch den Rückspiegel konnte ich sehen, wie er eine große Harke herausholte. »Oh, oh, will der
mich damit erschlagen?«, schoss es mir durch den Kopf. Für einen Moment hatte ich wirklich Angst. Doch anstatt mich zu
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