Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
attackieren,
ging er ein paar Meter weiter und harkte über die Steinwüste. Ein Jeep war außerhalb der Schotterpiste gefahren, der Hüttenwart
wollte die Reifenspuren so schnell wie möglich beseitigen. »Damit der nächste Fahrer nicht denkt, dass hier ein offizieller
Weg ist«, erklärte er. Die Natur sehe zwar robust aus, doch das Ökosystem sei sehr empfindlich. Ich atmete tief durch und
war auch ein bisschen beschämt.
»Island ist fast nur Natur mit ein paar verstreuten Menschen«, sagt der Schriftsteller Jón Kalman Stéfansson. Und da diese
Natur so einen starken Einfluss auf die Isländer hat, ist es verständlich, dass besonders in früheren Zeiten getroffene Verabredungen
immer mit einem Zusatz versehen waren: »Ja, lass uns das machen … wenn das Wetter gut ist.« Obwohl beheizte Autos die Leute nun trocken zum Treffpunkt bringen könnten, behalten sie diese
Mentalität bis heute bei. Natur formt den Charakter. Auf einer Wanderung wie dieser am Torfajökull lernt man, sich wieder
auf den Moment einzulassen. Nicht zu viel zu planen. Und das ist auch im Alltag entspannend. Denn: Wer weiß schon, ob er in
zwei Wochen um 13.45 Uhr Lust und Zeit für ein Treffen hat? Die Isländer sagen, je weniger du planst, desto spontaner kannst du leben. Es gibt
ihnen ein Gefühl von Freiheit – so wie die endlosen Landschaften.
Wenn Kristinn G. Kristmundsson sagt, dass er auf Arbeit ist, muss man erst mal fragen, auf welcher. Denn der 5 7-Jährige führt eine Videothek, baut Särge und besitzt einen solarbetriebenen Cola-Automaten. In Island ist es üblich, mehrere Berufe
in unterschiedlichen Branchen auszuüben – etliche tun dies auch gleichzeitig. Zum einen ist es notwendig, um den hohen Lebensstandard
zu erhalten, zum anderen ist es für die Isländer aber auch eine Bereicherung, denn so können sie ihre verschiedenen Interessen
ausleben.
Auch Kristinn, den alle nur Kiddi Vídjófluga nennen, würde auf keinen seiner Jobs verzichten wollen. Die Videothek ist täglich
von 18 bis 22 Uhr geöffnet, sie liegt im hinteren Teil eines Einfamilienhauses in Egilsstaðir, einer Kleinstadt im Osten Islands. Es gehörte
früher seinen Eltern, heute lebt er dort. Am Gartenzaun hat er ein großes Schild aufgestellt: »Vídeo Flugan« (Videofliege)
steht dort in handgemalten Lettern. Der Seiteneingang führt die Besucher direkt zum Laden, ein Briefkastenschlitz dient als
Rückgabestelle, falls Kiddi nicht da ist. Neben dem Eingang wuchern ein paar Sträucher, der Multijobber kommt gerade nicht
dazu, sie zurechtzustutzen.
Seit 1979 betreibt Kiddi die Videothek, in der heute über 18 000 Videos und DVDs ordentlich aufgereiht stehen, die Ladeneinrichtung hat der gelernte Zimmermann selbst gebaut.Sein Lieblingsfilm ist ›The Good, the Bad and the Ugly‹ aus dem Jahre 1976, aber eigentlich mag er alle Filme mit und von
Clint Eastwood. Der amerikanische Schauspieler und Produzent ist für Kiddi ein »Íslandsvinur«, ein Island-Freund, so werden
Ausländer genannt, die die Vulkaninsel bereits besucht und dort einen guten Eindruck hinterlassen haben. Eastwood drehte 2005
in Island einige Szenen seines Kinofilms ›Flags of Our Fathers‹. Kiddi kramt kurz in einem Regal und hält dann die DVD hoch.
Der Film spielt im Zweiten Weltkrieg und handelt von der Schlacht um Iwo Jima zwischen Japan und den USA. Da Islands schwarze Lavastrände denen der japanischen Insel ähneln, wählte das Filmteam einen Küstenstreifen im Südwesten
Islands als Drehort.
»Durch spezielle Kontakte habe ich immer als einer der Ersten im Lande die neuesten DVDs«, sagt Kiddi stolz. Der Isländer
hat sich schick gemacht, trägt ein glänzendes rotes Hemd mit farblich abgestimmter Krawatte und darüber eine schwarze Trecking-Jacke.
Er hat etwas Spitzbübisches, Jungenhaftes. Die meisten Gäste kommen im Sommer, da haben viele Ferien und mehr Zeit, sich Filme
anzusehen. Rund einhundert sind es dann pro Woche. Insgesamt nehmen die Zahlen aber durch die Konkurrenz im Internet ab.
Kiddis zweites Standbein, das Bauen von Särgen, ist hingegen krisenfest. Eine befreundete Kundin der Videothek, die im Krankenhaus
arbeitet, erzählte ihm, dass es einen Mangel an guten Särgen gäbe, und inspirierte ihn somit vor über 25 Jahren zu der Idee des Zweitjobs. Kurze Zeit später eröffnete er in einem alten Hanger, der seinem Vater gehörte, die Sarg-Werkstatt.
Kiddi hat sich alles
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