Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
»Königin des Fjords«. In Heydalur kaufte sie sich vor zehn Jahren gemeinsam mit ihrem Sohn Gísli einen Fjord,
den sie vorher nie gesehen hatten. Freunde empfahlen die einsam gelegene Meeresbucht in den Westfjorden, in der sonst niemand
mehr lebte; und die Fotos sahen auch vielversprechend aus. Also kauften sie das Land. Die ehemalige Schaffarm ist heute ein
Hotel mit dreißig Betten. Das warme Wasser aus der Erde nutzen Mutter und Sohn fürs eigene Schwimmbad, das sich im alten Gewächshaus
befindet. So können die Hotelbesucher direkt neben Himbeersträuchern und Apfelbäumchen baden.
Vor dem Gewächshaus hat Gísli mit Hilfe von dicken Lavasteinen einen dreigeteilten Hot Pot errichtet. Was fehlte, war nur
noch eine Verbindung zur natürlichen Quelle Galtarhryggslaug. Die stammt aus dem 12. Jahrhundert und liegt am anderen Ufer des angrenzenden Flusses. Eigentlich wollte Gísli eine kleine Brücke darüberbauen, doch
zwei Architekten, die zu Besuchwaren, schlugen ihm vor, aus großen Steinen einen Weg zu schaffen. Der Mittvierziger überlegte für einen Moment, setzte sich
dann hinter das Steuer seines Baggers und karrte riesige Brocken an – innerhalb von zwei Stunden war der Pfad fertig. Der
Fluss wird die Steine im nächsten Frühjahr wieder fortspülen, aber dann baut Gísli eben einen neuen Weg.
Hotelchefin Stella hat nur selten Zeit, sich in der alten Quelle zu entspannen, die, wenn man ihr glauben soll, magische Kräfte
hat. Die zierliche Frau geht leicht gekrümmt, ist aber sehr flink. Und so huscht sie den ganzen Tag durchs Hotel und kocht
für ihre Gäste aus dem Lachs, den ihr Sohn frisch gefangen hat, ein köstliches Abendessen. Wenn Gísli nicht gerade etwas baut,
bietet er Wander- und Kajaktouren an, organisiert Vogelbeobachtungen, vermietet Autos und macht Nordlichter-Touren. Und als
wäre das nicht schon genug, sagt Stella: »Jetzt müssen wir uns noch überlegen, was wir als Nächstes machen möchten.«
Familie und Beruf
Die viele Arbeit, sei es nun aus finanzieller Not oder aus Freude an den Berufungen, hat natürlich auch ihre Schattenseiten.
Es bleibt immer weniger Zeit für die Familie und somit auch für die eigenen Kinder. Deshalb sagt die Künstlerin Sirra: »Island
ist zwar ein familienorientiertes Land, aber nicht unbedingt ein familienfreundliches.« Vor der Krise gingen achtzig Prozent
der Mütter Vollzeit arbeiten, jetzt sind es nicht wesentlich weniger. Viele Kinder verbringen also unter der Woche mehr als
acht Stunden bei einer Tagesmutter oder im Kindergarten; das kostet. Da die Großeltern teilweise auch noch beruflich tätig
sind,stehen die älteren Verwandten nicht ständig als Babysitter zur Verfügung.
Immerhin sind viele Arbeitgeber verständnisvoll. Wenn die Mitarbeiter im isländischen Außenministerium Überstunden machen
müssen, können sie ihren Nachwuchs vom Kindergarten oder der Schule abholen und mit ins Ministerium nehmen. Dort dürfen die
Kleinen dann am Computer spielen oder malen. Ähnlich flexibel sind manche Vorgesetzte heimischer Popstars. Haukur, Sänger
der Rockband Dikta, ist beispielsweise Arzt im Reykjavíker Krankenhaus, seine Bandkollegen studieren noch und werden später
als Lehrer und Pilot arbeiten. Da ihr Album wochenlang auf Platz eins der Charts stand, spielte die Gruppe öfter als sonst,
manchmal auch im Ausland. Das Krankenhaus stellte den Dienstplan des Sängers um und machte die Auftritte möglich.
Wer keinen spannenden Beruf hat, kann sich zumindest im Telefonbuch einen kreativen Titel geben. Seit einiger Zeit ist es
populär, im Online-Telefonbuch neben der Nummer und Adresse auch seinen Beruf zu nennen. Das hilft nicht nur beim Unterscheiden
der vielen Halldórs und Annas, viele jüngere Isländer haben Spaß daran, sich absurde Jobtitel zu geben. So finden sich dort
nun Astronauten, Zauberer und Ninja-Champions. Solange sie keinen Job angeben, dessen Berufsbezeichnung geschützt ist oder
illegal, wie etwa Zuhälter, lässt die Telefongesellschaft sie gewähren. Ein Mann wollte sich mal als »brautryðjandi«, Pionier,
eintragen lassen. Das Wort bedeutet auch »Wegklärer«. Da sich herausstellte, dass der Isländer wirklich am Flughafen die Wege
klärt, darf er sich nun Berufspionier nennen.
Wenn Isländer die Krise bekommen, springen sie ins Meer und gehen erst mal eine Runde schwimmen. Rund 200 Isländer versammeln sich mittags am Strand von Nauthólsvík, der in
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