Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
kritisierte, galt als Spielverderber. Ihr Optimismus und die Tatsache, dass alle anderen die Kredite auch annahmen,
ließ die Isländer sorglos investieren. Manche hatten Kredite für den Jeep, das Haus, die schicke Designereinrichtung – so
wie die Patchworkfamilie von Helga und der Atlantik-Schwimmer Karl. Tragen die Bürger also auch einen Anteil an der Krise?
»Ich finde, das Thema Mitschuld ist überfrachtet«, sagt Buchautor Halldór. »Nicht alle konsumierten maßlos und sind trotzdem
in die Schuldenfalle getappt.«
Besonders betroffen ist die Generation zwischen 25 und vierzig. Sie können die Kredite für ihre Eigentumswohnungen kaum begleichen.
In Island gibt es so gut wie keinen Mietmarkt, und wenn, sind die Preise so hoch, dass es stets lohnt, Wohnungen oder Häuser
zu kaufen. Ältere Isländer wie Borghildur und ihr Mann Vilhjálmur, die in ihrem schönen Reykjavíker Holzhaus leben, haben
Glück, denn sie haben es bereits abbezahlt, doch auch sie spüren wie alle anderen, dass durch den Fall der Isländischen Krone
die alltäglichen Dinge teurer geworden sind.
»Es ist doch nur Geld«, antwortete eine Freundin einmal auf meine Frage, wie sie sich mit ihren Schulden fühle. Außerdem sei
sie es als Freischaffende gewohnt, mit wenig Geld auszukommen. »Für uns Künstler hat sich das Leben nicht so sehr geändert,
wir hatten vorher schon nicht viel und heute eben auchnicht.« Wenn der Handwerker kommt, bietet sie ihm eine signierte Arbeit als Bezahlung an. »Es ist gut, dass die unwirkliche
Blase geplatzt ist, jetzt wissen wir zumindest wieder, was echt ist und was nicht«, sagt sie.
Natürlich nimmt nicht jeder die Krise so gelassen, manche werden depressiv, fühlen sich betrogen, da hilft auch kein þetta
reddast mehr. Diese Mentalität ist gebrochen, es klappt eben doch nicht immer alles, sagen sie. Was sie ärgert, ist, dass
sich auch zwei Jahre nach dem Crash scheinbar niemand wirklich verantwortlich fühlt. Rund 150 Politiker, Banker und Unternehmer wurden für den 2378 Seiten starken Bericht der Special Investigation Commission (SIC) befragt, der aufklären sollte, wie es zur Krise kam. Kein
Einziger gab offen zu, mit schuld zu sein.
Bankgebäude und Gefängnisse als »lustige Orte«
Da die Verfahren gegen die Wirtschaftswikinger noch laufen, ist bisher niemand bestraft worden. Der Ärger darüber entlud sich
teilweise in Form von Vandalismus, so beschmierten Unbekannte Jeeps oder Häuser der Exbosse mit roter Farbe. Jón Gnarr kann
seine Landsleute verstehen, er hält jedoch nichts von solchen Aktionen. »Die Wut darf dich nicht beherrschen«, sagt er. »Man
muss sich über sie stellen und lustig machen.« Ähnlich wie bei einer Krebstherapie, bei der ebenfalls bewiesen sei, dass Humor
die Behandlung positiv beeinflusse. Jón Gnarr hofft, mit seiner Arbeit das Krisentrauma zu lindern: Er ist der erfolgreichste
Komiker Islands.
Das erste Mal treffe ich ihn im September 2009, er ist 42 Jahre alt, ein Radio- und Fernsehstar. Auf die Frage, wo wir uns zum Interview treffen wollen, sagt er: »Ich kenne da einen
sehr lustigen Ort.« Schon von Weitem sieht man die glänzende Fassadedes modernen Gebäudes. Wer das riesige Foyer betritt, schaut auf den rund zehn Meter hohen Wasserfall, der zwischen zwei Glasscheiben
elegant nach unten fließt, an den Wänden hängen Arbeiten des Künstlers Ólafur Elíasson. Schick gekleidete Menschen sitzen
auf schwarzen Ledersofas, plaudern miteinander und trinken entspannt ihren Milchkaffee.
Der Treffpunkt ist Zeichen von Jón Gnarrs schwarzem Humor, denn das Reykjavíker Gebäude ist die Zentrale der Kaupþing-Bank
– jenem Kreditinstitut also, bei dem rund 34 000 Deutsche ihr Erspartes mit hohen Zinssätzen anlegten und deren Konten im Oktober 2008 eingefroren wurden. Die deutschen Kaupþing-Edge-Anleger
bekamen später immerhin die Einlagen, wenn auch ohne Zinsen zurück, doch der isländische Staat war zu dem Zeitpunkt höher
verschuldet als manches Entwicklungsland, und auch andere, zum Beispiel Briten und Niederländer, hatten Geld bei einer der
drei großen Banken Islands angelegt, die zahlungsunfähig wurden.
Jón Gnarr in seiner Rolle als Georg vor dem Gefängnis Litla-Hraun
Das Vertrauen in die Banken und Politik ist seither verloren, Jón Gnarr hilft ihnen mit Humor über die Krise hinweg, etwa
in seiner wöchentlichen Radiosendung, in der er als Kim Jong Il einen Anwalt in Benin
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