Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
die Punkte seiner Partei, manchmal gestikuliert
er dabei wie damals am Rednerpult in der Kaupþing-Bank.
Wo immer er mit seinem Tross auftaucht, bleiben lächelnde Gesichter zurück. Auch wenn ihm nicht alle glauben, dass er esernst meint, wenn er sagt: »Wir wollen eine kulturelle Revolution schaffen, das faule System aufbrechen.«
Egill Helgason von der Sendeanstalt RÚV, Islands bekanntester Fernsehkommentator (der früher so hart in der Fischfabrik arbeitete),
beobachtet ebenfalls, dass die Spaßpartei im Laufe des Wahlkampfes immer seriöser wird. »Jón Gnarrs Partei würde keinen schlechteren
Job machen als die anderen«, sagt er. »Man sollte die Leute von Besti Flokkurinn nicht unterschätzen.« Viele sind Künstler,
auf Listenplatz zwei ist Einar Örn Benediktsson, Sänger der Sugarcubes, mit denen Björk einst ihre Weltkarriere startete.
Björks beste Freundin Jóga ist die Frau des Spitzenkandidaten.
Die etablierten Parteien scheinen im Wahlkampf machtlos gegen die Späße des Komikers zu sein. Die Links-Grüne Sóley Tómasdóttir
fragt, was aus den Kindern werden solle, wenn Besti Flokkurinn regiere, und handelt sich nur giftige Kommentare ein. Andere
Politiker sind recht kleinlaut, weil Besti Flokkurinn wunde Punkte trifft, etwa mit dem Versprechen, offen korrupt zu sein.
»Da ich es nicht bin, kann ich das auch versprechen«, sagt Jón Gnarr. Bei seinem Gang über den Laugavegur stoppt der Komiker
vor einem ausgestopften Eisbären: ein ideales Fotomotiv für die anwesende Presse, denn die Partei verspricht dem Zoo von Reykjavík
ein Eisbärengehege. Man solle doch mal versuchen, die Bären, die alle paar Jahre von Grönland auf Eisschollen nach Island
angetrieben kommen, zu fangen, und sie nicht immer erschießen. Die Tierschutzverbände und der Zoodirektor stimmen ihm zu.
Und schließlich hat der Knut-Effekt ja auch in Berlin funktioniert.
In anderen Ländern und zu anderen Zeiten würde eine Spaßpartei wie diese vielleicht zwei Prozent der Wählerstimmen gewinnen,
doch auf der krisengeschüttelten Vulkaninsel waren die Bürger bereit für einen Neuanfang.
Und so wurde Besti Flokkurinn dann auch am 29. Mai 2010 mit 34,7 Prozent der Stimmen die stärkste Kraft, die Unabhängigkeitspartei erreichte 33,6 Prozent, die Sozialdemokraten sanken auf 19,1 Prozent. »Ich war ein bisschen enttäuscht, dass wir nicht die absolute Mehrheit bekommen haben«, scherzte Jón Gnarr später.
Wie so oft steckt in seinen Antworten viel Ironie, aber auch ein Stück Wahrheit. Denn tatsächlich wäre ein Neuanfang ohne
Koalitionspartner einfacher gewesen, andererseits sind er und seine Parteimitglieder Anfänger im Politzirkus. Im Juni 2010
bildete Besti Flokkurinn mit den Sozialdemokraten eine Koalition, die Zusammenarbeit klappt gut, denn so verschieden sind
die Ansichten der beiden Partner gar nicht. Die Etablierten bringen die Erfahrung, die alternative Partei den Humor.
Nach einigen Monaten im Amt besuche ich Jón Gnarr an seinem neuen Arbeitsplatz. Viele Menschen wuseln um ihn herum, gleich
hat er den nächsten Termin. Die Chance, dass ihm langweilig wird, ist heute minimal. Wer Reykjavík regiert, hat eine große
Verantwortung, immerhin lebt der überwiegende Teil der isländischen Bevölkerung in der Hauptstadt, es gilt, etliche Probleme
zu lösen: Viele Isländer sind verschuldet, die Arbeitslosigkeit stieg zwischenzeitlich von zwei auf fast acht Prozent. Ist
es nicht beängstigend, jetzt all die Verantwortung zu haben? »Ja, ein bisschen schon«, gibt der Komiker zu. Doch er zieht
das durch. Genau wie viele seiner Wahlversprechen, manche seien natürlich nur eine Provokation gewesen. Einen Eisbären möchte
er schon gerne in den Zoo holen, dafür müsste allerdings erst ein Gehege gebaut werden, und dafür fehlt der Stadt momentan
das Geld. »Aber wir haben ja auch versprochen, unsere Versprechen zu brechen.«
Jón Gnarr und seine Kollegen von Besti Flokkurinn wollen andere Politiker sein, sie nennen sich eine »anarcho-surrealistische«Partei, früher waren viele von ihnen Punks. Heute sind sie Politiker und Punks! Dann zitiert er Muminpapa, die nilpferdartige
Zeichentrickfigur, die mit seiner Familie im finnischen Mumintal lebt und etwa fünfzig Zentimeter misst: »Du musst nicht groß
sein, um mutig zu sein.« Der Neu-Politiker führt mich durch sein Büro, befreundete Künstler haben ihm Arbeiten und Karikaturen
geschenkt, die ihn
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