Alles ganz Isi - Islaendische Lebenskunst fuer Anfaenger und Fortgeschrittene
neuerdings auch als natürliches Antidepressivum, das gerade in den dunklen Wintern bei Lichtmangel hilft.
»Ich bin nie erkältet oder krank«, sagt die zarte Borghildur. Sie holt aus dem Kühlschrank eine Flasche mit ihrem goldgelben
Elixier. Gewonnen wird es aus der Leber vom Hai, Seelachs oder Kabeljau. Borghildur träufelt mir einen Löffel voll und stellt
ein kleines Glas Beerensaft daneben. Lýsi schmeckt wie das, was es ist: fischiges Öl. Weich, samtig und fies im Nachgeschmack.
Der Saft vertreibt ihn und verhindert, dass man den ganzen Tag davon aufstoßen muss.
Lebertran ist gar nicht so schlimm, denke ich, also kaufe ich mir auch eine Flasche vom Seelachs-Lýsi und nehme morgens brav
einen großen Löffel. Doch am dritten Tag gebe ich wieder auf. Mir ist ständig schlecht, und dann hält er sich doch, dieser
fiese Nachgeschmack. Wie sich später herausstellte, hatte ich zu viel genommen. Denn der Seelachs- ist stärker als der Kabeljau-Lebertran,
den die meisten nehmen. Also wähle ich die Alternative, die auch immer mehr Isländer nutzen: die Kapseln. Für einen Monat
will ich es ausprobieren. Schauen, ob diese isländische Tradition mich stärker macht, gesund hält. Ich gehe zu Melabúðin,
einem beliebten kleinen Reykjavíker Lebensmittelladen, in dem neben Schafsköpfen und Sülzen auch viel frischer Lachs an der
Theke verkauft wird. »Was soll ich denn als Anfänger nehmen?«, frage ich eine der Verkäuferinnen. »Nimm mal die Kabeljau-Pillen,
die vom Hai sind zu stark.«
Sie holt ein Glas mit den gelblich glänzenden Kapseln aus dem Kühlregal, es steht direkt neben Käse und Joghurt. Seitdem nehme
ich jeden Tag Lebertran zu mir, im darauffolgendenWinter, als in Deutschland alle um mich herum ständig erkältet sind, bleibe ich gesund. Lebertran soll übrigens auch kreativ
machen, vielleicht gibt es deshalb in Island so viele Künstler.
Ein Raum so berstend voll, dass der Schweiß von der Decke perlt, laute Musik, die im Körper vibriert, und Gäste, die so ausgelassen
tanzen, dass sie anderen dabei ihre Biergläser fast ins Gesicht schlagen. Für uns hört sich das nach einer wilden Party an,
für Isländer ist es ein normaler Samstagabend.
Das Highlight des Reykjavíker Nachtlebens war stets die Bar Sirkus. Auf knapp dreißig Quadratmetern quetschten sich dort am
Wochenende viele Künstler und Musiker, die Bar war ihr kreativer Mikrokosmos. Den einen Abend legte Krummi von der Hardrock-Band
Mínus die übelsten Achtzigerjahre-Schnulzen auf, in einer anderen Nacht präsentierte Stephan von Gus Gus seine Bassdrum-Sound-Installation,
mal spielte Björk ihre liebsten Heavy-Metal-Platten.
Gefeiert wurde in Island immer schon zu jedem Sound, da sind sie schmerzlos. Und je höher der Alkoholpegel, desto halsbrecherischer
wurden die Tänze auf den wackeligen Stühlen und Tischen. Inhaberin Sigga Boston (sie lebte mal in Boston), sah das zwar nicht
gerne, ließ die Feiernden aber wohl oder übel gewähren. Denn auch die DJs und Sänger sprangen auf die Tische oder den Tresen.
Wenn Sigga dann in den frühen Morgenstunden heftig mit dem Löffel auf einen Topf schlug, ging dasFest zu Ende, und die berauschten Gäste waren wieder ihrem eigenen Schicksal überlassen. Meist nur widerwillig schlichen oder
torkelten sie aus dem kleinen, mit Südseemotiven bemalten Haus und überlegten, wie es nun weitergehen soll: noch einen Hot
Dog essen? Am Meer frische Luft schnappen? Mit der neuen vs. alten Eroberung nach Hause gehen oder doch lieber in eine andere
Bar ziehen?
Das Sirkus lag im Klappastígur, einer Seitenstraße der Lebensader Laugavegur. Es ist jene Bar, die im Januar 2008 schließen
musste, weil Investoren groß bauen wollten, und die dann noch mal für die Kunstmesse »Frieze« kurz zum Leben erweckt wurde.
So konnte auch das Londoner Publikum spüren, wie es ist, in einer Bar im dichten Gedränge auf isländische Art zu feiern.
Dazu gehört, dass Männer schon mal ihre T-Shirts ausziehen, wenn es ihnen zu heiß wird. »Anders ist die Hitze nicht auszuhalten«, sagt Egill Sæbjörnsson, der dann wie viele
andere mitnacktem Oberkörper weiterfeiert. »Leider hat sich diese Tradition nicht auf die Frauen übertragen«, sagt der Musiker. Doch
deren Outfits sind ohnehin meist sexy und knapp. Wie so ein Abend im Sirkus aussah, kann man sich übrigens in Björks Video
»Triumph Of A Heart« ansehen. Der Song gehört zum Acappella-Album
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