Alles Glück kommt nie
Charles stets der Meinung gewesen, dass es einfacher war, Kindern die Wahrheit zu sagen. Er hatte nicht viele Prinzipien in Sachen Pädagogik, aber die Wahrheit gehörte dazu. Die Wahrheit hatte der Phantasie noch nie Zügel angelegt. Im Gegenteil.
»Weißt du? Er kann gar nicht aufwachen, er ist nämlich ausgestopft.«
Lucas’ Schnurrbart dehnte sich bis zu den Ohrringen aus: »Das war mir klar, aber ich wollte es dir nicht sagen. Ich hatte Angst, du wärst dann traurig.«
Wer? Wer ist auf die wunderbare Idee gekommen, Kinder zu erfinden? Er schmolz dahin und klemmte seinen Becher hinter einen Ziegel. »Komm. Wir gehen ihn holen.«
»Ja, aber ...«, druckste der Kleine herum, »es ist ja eigentlich kein richtiger Papagei.«
»Ja, aber ...«, hochtrabte der Große, »du bist ja eigentlich auch kein richtiger Pirat.«
Auf dem Rückweg machten sie kurz am Jägertreff halt, der auch Lebensmittelladen, Waffengeschäft, Bank und am Donnerstagnachmittag Friseursalon war, kauften eine Rolle Kordel, und Charles kniete vor der Kirche und band Mistinguett gut fest, bevor er sie auf die Bühne schickte.
»Und wo sind deine Eltern?«
»Weiß nicht.«
Erfreut und wie auf Eiern kehrte der Kleine zu seiner Klasse zurück.
Redete schon mit ihm: »Kannst du ›Eiei‹ sagen, kleiner Papagei?«
Charles kehrte zu seinem Mäuerchen zurück. Wollte Lucas’ Auftritt abwarten, bevor er wieder nach Paris fuhr.
Ein kleines Mädchen brachte ihm einen dampfenden Teller. »Oh, danke. Wie lieb von dir.«
Ein Stück weiter, hinter dem riesigen Tisch, warf ihm die Frau von vorhin, die eine beeindruckende Oberweite besaß, neckische Blicke zu.
Ups, er hatte eine Eroberung gemacht. Schnell wandte er sich seinem Plastikbesteck zu und konzentrierte sich grinsend auf sein Stück gegrillten Schinken.
Ihm war gerade die Wäscheleine von Madame Canut eingefallen ...
»Das ist ihr BH, da bin ich ganz sicher«, wiederholte Alexis. »Wie kannst du dir da so sicher sein?«
»Tja. Das sieht man doch.«
Es war faszinierend.
Bewegung auf der Bühne. Mit kleinen Schritten wurden Großmütter zu den besten Plätzen geführt, während die Verstärkeranlage, eins, zwei, hören Sie mich? Pfeifton, eins, zwei, Jean-Pierre, bitte, die Technik, stell dein Glas mal ab, eins, zwei, sind alle da? Guten Tag und herzlich willkommen, nehmen Sie Platz, ich erinnere daran, dass die Tombo... Pfeifton, Jean-Pierre! Mein Go... Würg.
Okay.
Kniende Mütter prüften Frisuren und Schminke, während Papas an ihren Camcordern herumfummelten. Charles stieß auf Corinne, die sich angeregt mit zwei anderen Damen unterhielt, anscheinend gab es ein Problem mit einem gestohlenen Trainingsanzug, und lieferte den Schlüsselbund bei ihr ab.
»Haben Sie auch daran gedacht, das Tor abzuschließen?«
Ja, er hatte daran gedacht. Pries ihre großzügige Gastfreundschaft und entfernte sich. So weit wie möglich.
Suchte die Sonne, stellte links außen einen Stuhl an die Reihe, um sich zwischen zwei Bildern unauffällig verdrücken zu können, streckte die Beine aus, und da die Pause fast vorbei war, dachte er wieder an seine Arbeit. Holte seinen Terminkalender heraus, sah sich die Termine für die kommende Woche an, überlegte, welche Akten er nach Roissy mitnehmen würde, und begann eine ...
Lautes Geschrei zu seiner Linken lenkte ihn eine Sekunde lang ab. Höchstens. Kurzes Intermezzo zwischen Netzhaut und Hirnrinde. Lange genug, um zu registrieren, dass es auch an der Schule von Marzeray Mamas gab, die durchaus sexy waren.
... Liste der zu erledigenden Anrufe zu erstellen, noch mal mit Philippe sprechen wegen ...
Hob wieder den Kopf.
Sie lächelte ihn an. » Hullo .«
Charles fiel der Terminkalender aus der Hand, dann trat er kurz darauf, als er ihr die Hand hinhielt, und während er sich bückte, um ihn aufzuheben, hatte sie sich schon neben ihn gesetzt. Nicht ganz übrigens, sie hatte einen Platz zwischen ihnen freigelassen.
Für einen Anstandswauwau vielleicht?
»Entschuldigung, ich habe Sie gar nicht erkannt.«
»Das liegt daran, dass ich keine Stiefel mehr trage«, scherzte sie.
»Ja. Das muss es sein.«
Sie trug ein Wickelkleid, das ihren Oberkörper umschmeichelte, die Taille verknotete und schöne Beine machte. Dann entdeckte er ihre Knie, als sie die Beine übereinanderschlug und wieder zurückstellte, dabei an dem blaugrauen Stoff zog, auf dem sich jede Menge kleine, türkisfarbene Arabesken tummelten.
Charles mochte die
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