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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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was?«
    Sie umschloss mit beiden Händen ihre Nase, um sich vor ihm zu verstecken, und als ihr klar wurde, dass er sie immer noch anstarrte, wurde sie noch unsicherer: »Oh. Schauen Sie nicht auf meine Hände. Sie sind –«
    »Nein. Ich habe Ihre Gemme bewundert –«
    »Ach?«, sie atmete erleichtert auf und hielt sich den Handrücken vor die Augen, erstaunt, dass sie noch da war.
    »Sie ist wunderschön.«
    »Ja, und sehr alt. Ein Geschenk meines ... Okay«, flüsterte sie und zeigte auf die Wellen, »die Fortsetzung erzähle ich Ihnen später.«
    »Ich komme darauf zurück«, flüsterte Charles noch leiser.
     
    Die Fortsetzung des Stücks schaute er sich auf Alexis’ Gesicht an.
    Lucas und seine Piratenbande hatten mit einem etwas abgegriffenen Lied angefangen:
     
    Holzbein,Augenklappe, Enterbeil und Messer:
    wenn du uns siehst, dann verzieh dich besser!
    Lauf um dein Leben, schau nicht zurück,
    sonst wirst du unser Beutestück!
    Piraten sind wir, tun, was uns gefällt!
    Trajoho, und ne Buddel voll Rum!
    Piraten, die fürchten nichts auf der Welt!
    Trajoho, und ne Buddel voll Rum!
     
    Alexis, dem anfangs nichts auffiel, so konzentriert war er auf seine Gitarre.
    Plötzlich richtete er sich auf, lächelte in den Raum, fand seinen Sohn und kehrte zu seinen Saiten zurück.
    Nein.
    Rückkehr zur Bühne.
    Kniff die Augen zusammen, verpasste zwei, drei Akkorde, riss sie weit auf und griff völlig daneben. Aber das war nicht wichtig. Wer konnte ihn bei dem Stolz der Freibeuter schon hören? Piraten, die fürchten nichts auf der Welt!, brüllten sie in allen Tonlagen, bevor sie hinter einem großen Segel verschwanden.
    Eine Kanone donnerte, und sie kamen bis zu den Zähnen bewaffnet zurück. Ein neues Lied, neue Noten, Mistinguett tobte sich aus, und Alexis war völlig neben der Spur.
     
    Riss sich schließlich von der Schulter seines Sohnes los und suchte nach einer Erklärung im Publikum. Sein Eifer wurde belohnt, irgendwann stieß er auf das spöttische Lächeln eines alten Kameraden. Der soeben begriffen hatte, dass es nicht sehr schwer war, von den Lippen eines Stummen abzulesen ...
     
    Er deutete mit dem Kinn auf Lucas:
    Ist sie das?
    Charles nickte.
    Aber,wie bist du …
    Lächelnd zeigte er mit dem Zeigefinger zum Himmel.
    Der andere schüttelte den Kopf, senkte ihn und hob ihn nicht eher wieder, bis die Beute geteilt wurde.
     
    Charles nutzte den Applaus, um ihnen zu entkommen. Er hatte überhaupt keine Lust, wieder die langen Schluchzer auszupacken.
    Mission erfüllt.
    Rückkehr ins Leben.
     
    Er schritt durch das Schultor, als ihn ein »Hey!« einholte. Rasch steckte er die Zigarette zurück in die Tasche und drehte sich um.
    »Hey, you bloody liar!« , rief sie ihm zu und zeigte ihm die linke Faust, »why did you say ›Ich komme darauf zurück‹ , if you don’t give a shit?«
    Sie wartete nicht, bis sein Gesicht sich vollständig aufgelöst hatte, um etwas freundlicher hinzuzufügen: »Nein, entschuldigen Sie. Ich wollte eigentlich etwas ganz anderes sagen. Eigentlich wollte ich Sie einladen ... Ach, nichts.« Sie sah ihm in die Augen und drosselte die Lautstärke noch mehr: »Gehen Sie schon?«
    Charles versuchte gar nicht erst, ihrem Blick standzuhalten. »Ja, ich – ich hä...«, stammelte er, »ich hätte mich von Ihnen verabschieden sollen, aber ich wollte Sie nicht strö..., pardon, nicht stören ...«
    »Ach?«
    »Ich wollte eigentlich gar nicht kommen. Ich habe – wie soll ich sagen – heute blaugemacht, und jetzt muss ich wirklich wieder zurück.«
    »Verstehe.«
    Mit einem letzten Lächeln, das er an ihr nicht kannte, feuerte sie, ohne auch nur eine Sekunde lang daran zu glauben, ihre letzte – ihre kümmerlichste – Patrone ab: »Und die Ziehung der Tombola?«
    »Ich habe kein Los gekauft.«
    »Ach so. Na gut. Auf Wiedersehen.«
    Sie hielt ihm die Hand hin. Ihr Ring hatte sich gedreht, der Stein war kalt.
     
    Wozu wollten Sie mich einladen?, fiel es Charles wieder ein, aber es war zu spät. Sie war schon zu weit weg.
    Er seufzte und sah zu, wie sich auch die filigransten ihrer Arabesken entfernten.
     
    *
     
    Auf der Suche nach seinem Auto erblickte er ihrs, das sie schräg unter den Platanen gegenüber der Post geparkt hatte.
    Der Kofferraum stand offen, und dieselben Hunde begrüßten ihn mit derselben Gutmütigkeit wie gestern Abend.
     
    Er holte seinen Terminkalender heraus, blätterte zum 9. August und prägte sich die Städte ein, die an seiner Strecke lagen.
    Er fuhr eine

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