Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
ist.«
    »...«
    »Abschnitte seines Lebens zu opfern, um wieder nach oben zu kommen –«
    »Opfern. Abschnitte seines Lebens. Rhetorisch kannst du es locker mit einem Langneseeisverkäufer aufnehmen«, spottete Charles, »aber wir haben doch gar nichts geopfert! Wir waren doch nur feige. Ja, feige, das ist als Wort weniger schick. Wenigerhochtrabend.« Er hatte seinen Daumen und seinen Zeigefinger zusammengeführt: »Ein winziges Mundstück, was? Winzig, winzig.«
    Alexis schüttelte den Kopf. »Selbstgeißelungen. Das hast du schon immer geliebt. Na ja, du bist ja auch durch die Hände der Patres gegangen. Das hatte ich vergessen. Weißt du, was der große Unterschied zwischen uns beiden ist?«
    »Ja«, sagte Charles pathetisch, »das weiß ich. Es ist der SCHMEEEEERZ, mit fünf E, ganz schön praktisch. Was soll ich denn auf so eine Frage antworten?«
    »Der Unterschied ist, dass du von Leuten erzogen wurdest, die an vieles geglaubt haben, während ich mit einer Frau aufgewachsen bin, die an nichts geglaubt hat.«
    »Sie hat an das Le–«
    Charles bereute die letzte Silbe sofort. Zu spät.
    »Natürlich. Man braucht sich ja bloß anzuschauen, was sie damit gemacht hat.«
     
    »Alex, ich verstehe das, ich verstehe, dass du darüber reden musst. Man hört ja, dass sich diese Szene häufig wiederholt hat. Ich frage mich sogar, ob das nicht der Grund dafür ist, dass du mir letzten Winter diese herzliche Todesnachricht geschickt hast. Um bei mir abzuladen, was du nicht mehr im Keller vergraben kannst.
    Aber ich bin nicht der Richtige, verstehst du? Ich hänge in der ganzen Sache selbst zu sehr drin. Ich kann dir nicht helfen. Es ist nicht etwa so, dass ich nicht will, ich kann es einfach nicht. Du hast wenigstens Kinder in die Welt gesetzt. Aber ich – ich gehe jetzt ins Bett. Grüß deine Erlöserin von mir.«
    Er machte die Tür zu seinem Zimmer auf: »Eine letzte Sache noch. Warum hast du ihren Körper nicht der Wissenschaft gespendet, wo sie dir das Versprechen doch so oft abgenommen hat?«
    »Dieses verdammte Krankenhaus! Findest du nicht, dass sie denen schon genug gege–«
    Der Motor war heißgelaufen.
    Alexis kippte nach hinten und rutschte auf den Boden: »Was habe ich nur gemacht, Charlot?«, schluchzte er laut, »was habe ich nur gemacht?«
    Charles konnte nicht in die Hocke gehen und noch weniger in die Knie.
    Berührte ihn an der Schulter. »Hör auf. Ich rede heute auch nur Stuss. Wenn sie es wirklich gewollt hätte, dann hätte sie dir eine Nachricht hinterlassen.«
    »Sie hat mir eine hinterlassen.«
    Schmerz, Alarm, Überleben, Versprechen. Er nahm seine Hand.
     
    Alexis krümmte sich auf dem Boden, zerrte seine Brieftasche aus der Hose, entnahm ihr ein weißes Blatt Papier, zweimal gefaltet, schüttelte es und räusperte sich: » Mein geliebter Junge «, begann er.
    Er hatte wieder angefangen zu weinen, hielt ihm das Blatt hin.
    Charles, der seine Brille nicht bei sich hatte, trat einen Schritt zurück in das Licht in seinem Zimmer.
     
    Das war überflüssig.
    Mehr stand da nicht.
     
    Er atmete laut und lange aus.
    Weil er neue Schmerzen empfand.
     
    »Da siehst du doch, dass sie an etwas geglaubt hat. Da siehst du’s«, wiederholte er fröhlicher, »ich würde dir gern die Hand geben, um dir aufzuhelfen, nur, das kann ich nicht, ich bin heute Morgen nämlich angefahren worden.«
    »Leck mich«, lächelte Alexis, »du musst immer alles besser machen als die anderen.« Griff nach seiner Jacke, zog sich hoch, faltete das Blatt wieder zusammen, ging weg und imitierteNounous schrille Stimme: » Los, Herzchen! Ins Heiabettchen mit euch! «
     
    Charles taumelte zu seinem Bett, ließ sich schwer darauffallen, autsch, und überlegte, dass er gerade den längsten Tag seines Lebens hinter sich gebracht hatte.
    Schon war er eingeschlafen.

4
    Wo war er jetzt schon wieder?
    Welche Bettwäsche? Welches Hotel?
    Das fiese Rankenmuster der Vorhänge weckte ihn ganz. Ach ja. Clos des Ormes.
    Kein Laut war zu hören. Er sah auf die Uhr und glaubte zunächst, er halte sie verkehrt herum.
    Viertel nach elf.
    Zum ersten Mal seit einem Jahrhundert hatte er bis in die Puppen geschlafen.
     
    Vor der Tür zu seinem Zimmer hatte jemand eine Nachricht hinterlassen: »Wir haben uns nicht getraut, dich zu wecken. Wenn du nicht genug Zeit hast, um in die Schule (gegenüber der Kirche) zu kommen, gib den Schlüssel bei der Nachbarin ab (grüner Zaun). Lieben Gruß.«
    Er bewunderte die Tapete auf der Toilette, das

Weitere Kostenlose Bücher