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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Charles?«
    »Ja.«
    »Langweile ich Sie?«
    »Nein.«
    »Schnäpse, habe ich gesagt. Mögen Sie einen Whisky? Warten Sie einen Moment.«
     
    Sie zeigte ihm die Flasche: »Wussten Sie, dass einer der besten Whiskys der Welt Port Ellen heißt?«
    »Nein. Ich weiß nichts, das wissen Sie doch.«
    »Er ist sehr schwer zu bekommen. Die Brennerei wurde vor über zwanzig Jahren geschlossen, glaube ich.«
    »Dann heben Sie ihn auf!«, protestierte er.
    »Nein. Ich freue mich, ihn heute Abend mit Ihnen zu trinken. Sie werden sehen, er ist richtig gut. Es ist ein Geschenk von Louis. Eins der wenigen Dinge, die uns bis hierher gefolgtsind. Louis könnte Ihnen besser als ich von den verschiedenen Whiskynoten erzählen, Zitrusfrucht, Torf, Schokolade, Holz, Kaffee, Nuss, was weiß ich, aber für mich ist es einfach nur ein Port Ellen. Was mich begeistert, ist, dass wir noch einen Rest haben! Es gab Zeiten, da musste ich etwas trinken, um schlafen zu können, und ich habe es mit den Etiketten nicht sonderlich genau genommen. Aber diese Flasche hier hätte ich nie als Betäubungsmittel benutzt. Ich habe auf Sie gewartet.
     
    War nur ein Scherz«, korrigierte sie sich und hielt ihm ein Glas hin, »hören Sie nicht auf mich. Was werden Sie von mir denken? Ich bin lächerlich.«
    Wieder einmal entzogen sich ihm die Worte. Sie war überhaupt nicht lächerlich, sie war ... Er konnte es nicht sagen. Eine Frau mit den Noten Holz, Salz und Schokolade vielleicht.
    »Gut, ich bringe meine Geschichte zu Ende. Ich glaube, das Schlimmste habe ich hinter mir. Danach galt es zu leben, und egal, was alle sagen, es ist immer einfacher, leben zu müssen . Ich habe meine Eltern angerufen. Mein Vater hat sich in Schweigen gehüllt, as usual , und meine Mutter wurde hysterisch. Ich habe der Hausmeistertochter die Kinder anvertraut und mir das Auto meiner Schwester geborgt, um ihr in die Hölle zu folgen. Alles war sehr kompliziert. Ich wusste nicht, dass das Sterben so kompliziert ist. Ich bin zwei Tage geblieben. In einem deprimierenden Hotel. Bestimmt habe ich dort das Trinken gelernt. Am Bahnhof von Dijon bekommt man nach Mitternacht leichter eine Flasche J & B als Schlaftabletten. Ich habe ein Beerdigungsinstitut aufgesucht und dafür gesorgt, dass die Leichen in Paris eingeäschert wurden. Warum eingeäschert? Ich denke, weil ich nicht wusste, wo die Kinder leben würden. Es war bescheuert, aber ich wollte sie nicht weit von ihren Kindern begra–«
    »Das ist überhaupt nicht bescheuert«, fiel Charles ihr ins Wort.
    Sein Tonfall überraschte sie.
    »Louis wurde neben seiner Frau im Bordelais bestattet. Wo sonst?«, lächelte sie, »aber die Urnen von Pierre und Ellen sind hier.«
    Charles zuckte zusammen.
    »In einer der Scheunen. Zwischen dem ganzen Gerümpel. Ich denke, die Kinder haben sie schon tausendmal gesehen, ohne etwas zu ahnen. Na ja, darüber reden wir, wenn sie größer sind. Das ist auch etwas, was mir aufgefallen ist. Was machen wir mit unseren Toten? In der Theorie ist alles ganz einfach. Wir sagen uns, die Erinnerung an sie ist wichtiger als ihre Bestattung, und das stimmt natürlich auch, aber in der Praxis, vor allem, wenn die Toten einem nicht wirklich gehören, was dann? Ich fand es sehr kompliziert, denn ... Ich habe sehr viel länger getrauert als die Kinder. Es ist jetzt nicht mehr da, aber lange Zeit stand ein riesiges Foto in der Küche. Ich wollte, dass Pierre und Ellen an unseren Mahlzeiten teilhaben. Nicht nur in der Küche. Ich hatte überall Bilder aufgestellt. Ich war besessen von der Vorstellung, sie könnten ihre Eltern vergessen. Wie habe ich sie damit gequält, wenn ich daran denke ... Im Wohnzimmer stand ein Regal, auf dem wir ehrfurchtsvoll alle Geschenke aufbewahrten, die sie in der Schule zum Muttertag bastelten. In einem Jahr hat Alice – ich weiß nicht mehr, was –, ich glaube, ein Schmuckkästchen mit nach Hause gebracht. Und wie alles, was Alice macht, war es natürlich wunderschön. Ich habe sie dazu beglückwünscht und es zu den anderen Sachen auf den Altar gestellt. Sie hat nichts gesagt, aber als ich aus dem Zimmer ging, hat sie es genommen und mit aller Kraft gegen die Wand geschmettert. ›Das habe ich für dich gemacht!‹, hat sie geschrien, ›für dich ! Nicht für eine Tote!‹ Ich habe die Bruchstücke aufgesammelt und das Foto aus der Küche entfernt. Wieder einmal hatten die Kinder mich einen Schritt weitergebracht, und ich glaube, ich habe damals aufgehört, Schwarz zu tragen. Der

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