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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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ist gut, was?«
    »Göttlich«, antwortete Charles zwischen zwei Schlucken.
    »Genau deshalb habe ich sie immer davon abgehalten, mich Mama zu nennen, und mit dem heutigen Abstand denke ich, dass ihnen das nicht leichtgefallen ist. Weniger Sam, aber den Mädchen. Vor allem in der Schule. Im Pausenhof. Aber ich bin nicht eure Mama«, habe ich ihnen gepredigt, »eure Mama war viel hübscher als ich. Ich habe ihnen viel von ihr erzählt. Auch von Pierre. Den ich im Grunde nicht sehr gut gekannt hatte. Irgendwann habe ich begriffen, dass sie mir nicht mehr zuhörten. Ich dachte, ich würde ihnen helfen, aber es war einfach nur – morbid. Mir wollte ich damit helfen. Darum haftete diesem ›Mama‹ immer etwas Düsteres an, als wäre es ein unanständiges Wort. Was eigentlich absurd ist. Aber ich mache mir keine Vorwürfe, ich – ich habe meine Schwester über alles geliebt ...
    Noch heute vergeht kein Tag, an dem ich nicht mit ihr spreche. Ich habe den Eindruck, dass ich – keine Ahnung – ihr zuliebe so gehandelt habe, als Hommage an sie. Na so was«, sie hob den Kopf, »die Stimmung ist ja bombastisch.«
    Prustendes Gelächter und Plumpsgeräusche drangen vom Tal herauf.
    »Das klingt mir sehr nach Mitternachtsbad. Um darauf zurückzukommen, Yacine, der brave Yacine, er war es, der die Situation entspannt hat. Er war erst seit einem Tag bei uns, sagte kein Wort, hörte unseren Gesprächen zu, und dann plötzlich bei Tisch, beim Abendessen, schlug er sich an die Stirn: ›Aaah, ich hab’s, jetzt ist mir alles klar. Kate heißt auf Englisch Mama!‹ Wir haben uns alle angelächelt: Er hatte begriffen –«
    »Aber der Kerl, der mich zum Dosenwerfen angestellt hat, der hat doch ›Ihr Sohn‹ gesagt und Samuel gemeint.«
    »Tja, woher soll er auch wissen, dass ›Ihr Sohn‹ auf Vesperies-Französisch › your nephew ‹ heißt? Wollen wir mal schauen, was sie treiben?«
     
    Wie üblich wurden sie von ein paar Promenadenmischungen, die den Schrottplatz überlebt hatten, begleitet.
    Kate, die barfuß war, ging ganz vorsichtig. Charles bot ihr seinen Arm.
    Vergaß seine Wehwehchen und richtete sich stolz auf.
    Hatte den Eindruck, eine Königin durch die Nacht zu geleiten.
     
    »Stören wir sie denn nicht?«, fragte er besorgt.
    »Das denken auch nur Sie. Sie werden begeistert sein.«
     
    Die Großen kasperten am Fluss herum, und die Kleinen ließen über dem Feuer Bonbons schmelzen.
    Charles bekam ein halb geschmolzenes kleines Krokodil, das ein wenig dem verkümmerten Abzeichen ähnelte, das er auf der Brust trug.
    Es war ungenießbar.
    »Mhmmm, lecker.«
    »Willst du noch eins?«
    »Nein danke, wirklich nicht.«
    »Willst du mit uns baden?«
    »Äh ...«
    In einer Ecke unterhielten sich die Mädchen, und Nedra hatte sich an Alice’ Schulter gelehnt.
    Das Kind sprach nur mit den Flammen.
    Kate bestellte ein Ständchen. Der zuständige Musiker kam der Aufforderung bereitwillig nach.
    Sie saßen alle im Schneidersitz, und Charles hatte das Gefühl, wieder fünfzehn zu sein.
    Den Kopf voller Haare.
     
    Er dachte an Mathilde. Wenn sie hier wäre, würde sie ihnen interessantere Stücke beibringen als dieses mühsame Schrapp-schrapp. Er dachte an Anouk, die ganz allein auf ihrem schäbigen Friedhof lag, Hunderte von Kilometern von ihren Enkelkindernentfernt. An Alexis, der seine Seele an der Garderobe abgegeben hatte und dessen »Zielvorgaben« darin bestanden, den Kantinen diverser Unterpräfekturen Kühlkammern anzudrehen. An Sylvies Gesicht. An die Einfühlsamkeit und Großherzigkeit, mit der sie ihm ein ganzes Leben erzählt hatte, dem es gerade daran so sehr gefehlt hatte. Noch einmal an Anouk, der er bis hierher nachgereist war und die so gern mit Ellens Kindern herumgealbert hätte. Die kiloweise widerliche Bonbons gefuttert, am Lagerfeuer eine Zigeunernummer zum Besten gegeben und dazu in die Hände geklatscht hätte.
    Die um diese Uhrzeit bestimmt schon im Wasser wäre ...
     
    »Ich muss mich an einen Baum lehnen«, gestand er ihr mit schmerzverzerrtem Gesicht, die Hand auf der Brust.
    »Natürlich. Gehen wir da rüber«, im Vorbeigehen griff sie nach der Fackel. »Sie haben Schmerzen, stimmt’s?«
    »Es ging mir noch nie so gut, Kate.«
    »Was haben Sie eigentlich gemacht?«
    »Ich wurde gestern Morgen von einem Auto angefahren. Nichts Schlimmes.«
     
    Sie zeigte auf zwei Fauteuils mit harziger Rinde und stellte ihren großen Kerzenleuchter unter freiem Himmel auf. »Warum?«
    »Wie bitte?«
    »Warum

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