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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Richterin ihre Ammenmärchen auftischten. Der arme Doudou steckte in der Klemme, von Louis’ Seite war etwas Cash vorhanden. Eine Wohnung in Cannes, eine weitere in Bordeaux, ganz zu schweigen von der Wohnung, die Pierre und Ellen gehörte. Na ja, Pierre vor allem. Die Frau Wirtschaftsprüferin kannte den Inhalt des Kaufvertrags besser als ich. Das Problem ist, dass Louis und seine Schwester seit Jahren um ein Stück Land prozessieren, was weiß ich, und – egal, ich erspare Ihnen die Details.
    Good Lord , ich spürte, dass die ganze Sache noch ziemlich dramatisch werden würde. Schließlich hat Louis’ Schwager den Titel errungen. Artikel 420ff. des Code Civil, rief uns die Richterin in Erinnerung, Aufgabe des Gegenvormunds ist es, die minderjährigen Mündel zu vertreten, sofern die Interessen Letzterer von denen des Vormunds abweichen. Wir haben uns geeinigt, währenddie Gerichtsschreiberin eifrig schrieb, aber ich weiß noch, dass ich nicht mehr ganz da war und dachte:
    Siebzehn Jahre.
    Siebzehn Jahre und zwei Monate unter ihren Blicken. Help .
     
    Erst als wir das Gerichtsgebäude verlassen hatten, machte mein Vater den Mund auf: ›Alea iacta est.‹ Tja, das half mir nicht wirklich weiter. Und als er merkte, wie bedrückt ich war, fügte er hinzu, ich hätte nichts zu befürchten, schon bei Virgil stehe zu lesen: ›Numero deus impare gaudet‹ .«
    »Was so viel heißt wie?«, fragte Charles.
    »Dass die Kinder zu dritt sind und Gott ungerade Zahlen liebt.«
    Sie grinste, als sie ihn ansah: »Wie ich schon sagte, ich fühlte mich allein! Es folgten zahlreiche Notartermine mit Verhandlungen über ein regelmäßiges Pflegegeld, das ich alle drei Monate ausgezahlt bekäme, sowie die Zusicherung, dass die Kinder eine gute Universität besuchen könnten, falls ich sie bis dahin entsprechend ›bevormundet‹ hätte. Was eine enorme Erleichterung für mich bedeutete, das will ich gar nicht leugnen. Siebzehn Jahre und zwei Monate, das würde ich trotz der bescheidenen Summe schon hinkriegen, und wenn sie nicht gerade, sobald sie volljährig waren, mit der Kohle durchbrannten und direkt ins nächste Spielcasino rannten, sollten auch sie klarkommen.
    Na ja, warten wir’s ab. Wie ich vorhin schon sagte: ein Tag nach dem anderen. So, ein Glas noch für jeden, dann kommen wir langsam hier zu unserem Fluss.
     
    Zwischen diesen Terminen und den tausend Telefonaten geht das Leben seinen Gang.
    Ich verliere die Gesundheitspässe der Kinder, kaufe Sommerschuhe, lerne andere Mütter kennen, erfahre viel über Ellen,lächle unsicher, mache ihre Post auf und verschicke im Gegenzug Traueranzeigen oder Fotokopien der Sterbeurkunde, ich mache mich ans Kochen, lerne pounds and ounces , cups and tablespoons , feet , inches usw. umzurechnen, nehme an meinem ersten Schulfest teil, schlage mich allmählich auch wacke mit Tiggers dümmlicher Stimme, halte durch, werde schwach, rufe mitten in der Nacht bei Matthew an, störe ihn in einer Versuchsreihe, er kann jetzt nicht mit mir reden, er will zurückrufen. Ich heule die ganze Nacht und lasse mir eine andere Nummer geben aus Angst, er könnte wirklich zurückrufen und überzeugendere Argumente vorbringen, um mich zurückzuholen ...
    Der Sommer kommt. Wir fahren zu meinen Eltern in ihr Landhäuschen bei Oxford. Es sind schreckliche Wochen. Schrecklich traurige Wochen. Mein Vater ist von Trauer gezeichnet, und meine Mutter verwechselt ständig Alice und Hattie. Ich wusste nicht, dass die Sommerferien in Frankreich so lang sind. Ich habe den Eindruck, um zwanzig Jahre gealtert zu sein. Ich würde am liebsten in meinen Kittel schlüpfen und mich mit meinen Keimen einschließen. Ich lese ihnen nicht mehr so viele Geschichten vor, helfe aber Harriet bei den ersten Gehversuchen und – kann kaum mit ihr mithalten.
    Eine natürliche Folgeerscheinung, vermute ich. Solange wir noch im Scheiter... Scheiterfeld? Scheiterhaufen? ...«
    »Worum geht’s?«, fragte er besorgt.
    »Um unser altes Leben ...«
    »Nehmen Sie Trümmerhaufen ...«
    »Mm, solange wir noch in den Trümmern saßen, war ich aktiv gewesen, hatte gekämpft, aber damit war es jetzt vorbei. Jetzt konnte ich nur noch siebzehn Jahre und einen Monat durchhalten. Von mir hängen fünf Menschen ab, und ich verkürze diese Ferien, die mir den Rest geben. Da ich stark abgenommen und fast alles zurückgelassen habe, ziehe ich immer öfter Ellens Klamotten an, und ich – es geht mir nicht gut.
    Wir ersticken in Paris, die Kinder drehen

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