Alles Glück kommt nie
reagierte nie beleidigt. Er sagte vielmehr: Ich schaue euch zu, weil ich darüber nachdenke, was ihr da macht. Ich wusste, dass er nie mehr das Risiko auf sich nehmen wollte, sich weh zu tun. Er ließ sie ›Indianer am Marterpfahl‹ spielen und kehrte zu Granny und ihren Rosen zurück.
Mitte August habe ich angefangen, mich vor seiner Abreise zu fürchten.
Nathalie hatte vor, ihn am 28. abzuholen. Am 27. abends war er verschwunden.
Am nächsten Tag haben wir ein Riesenversteckspiel organisiert. Vergeblich. Und Nathalie ist sehr besorgt wieder gefahren. Dieser Vorfall konnte sie teuer zu stehen kommen. Ich habe ihr versprochen, ihn persönlich bei ihr vorbeizubringen, sobald ich ihn fände. Aber auch am übernächsten Abend blieb er verschwunden. Sie reagierte panisch. Wir sollten die Polizei rufen. Vielleicht war er ertrunken? Während ich sie zu beruhigen suchte, habe ich in der Küche hier etwas Merkwürdiges entdeckt, und sie gebeten: Gib mir noch ein wenig Zeit, ich werde sie rufen, das verspreche ich dir.
Die Kinder waren sehr mitgenommen, sie haben schweigend zu Abend gegessen und sich dann schlafen gelegt, nicht ohne im Flur noch mal nach ihm zu rufen.
Mitten in der Nacht bin ich in die Küche gegangen, um mir einen Tee zu kochen. Ich habe kein Licht angemacht, habemich an den Tisch gesetzt und zu ihm gesagt:Yacine, ich weiß, wo du bist. Du musst jetzt rauskommen. Du willst doch nicht, dass die Polizei dich holt, oder?
Keine Antwort.
Natürlich ...
Ich hätte an seiner Stelle genauso reagiert, und ich habe getan, was ich mir an seiner Stelle gewünscht hätte.
Yacine, hör mir gut zu. Wenn du jetzt rauskommst, rede ich mit deinem Onkel und deiner Tante, und ich verspreche dir, dass du bei uns bleiben kannst.
Das war ziemlich gewagt, aber egal, Nathalies Anspielungen hatte ich entnommen, dass besagter Onkel keinen allzu großen Wert darauf legte, einen weiteren hungrigen Mund zu stopfen.
Yacine, please . Du wirst dir die Flöhe von dem Hund einfangen! Habe ich dich, seit du mich kennst, schon ein einziges Mal angelogen?!
In dem Moment hörte ich ein: Puh. Du kannst dir nicht vorstellen, was für einen Hunger ich habe!«
»Wo war er?«, fragte Charles.
Kate drehte sich um: »Die Bank dort an der Wand, die wie eine große Truhe aussieht. Ich weiß nicht, ob Sie es sehen können, aber vorne gibt es zwei Öffnungen. Es ist eine Kombination aus Bank und Hundehütte, die ich in einem Antiquitätenladen entdeckt habe, als wir hier noch ganz neu waren. Ich fand die Idee genial, aber die Hunde haben sich nie hineingelegt. Sie bevorzugen Ellens Canapés. Und jetzt trieb sich Hideous wie durch Zufall ständig dort herum und hatte uns beim Abendessen nicht einmal angebettelt.«
»Elementary, my dear Watson« , lächelte er.
»Ich habe ihm etwas zu essen gegeben, habe seinen Onkel angerufen und ihn in der Schule angemeldet. Das zu Yacine. Was Nedra angeht, ist sie auf ähnlichen Schmugglerpfaden zu uns gekommen, aber unter weitaus dramatischeren Umständen. Über sie wusste man nur, dass sie mit zertrümmertem Gesicht aus einem besetzten Haus geborgen worden war. Voretwa zwei Jahren, sie muss damals drei gewesen sein, wobei, Genaueres haben wir nie erfahren. Und es war wieder Nathalie, die ihre Finger im Spiel hatte.
Auch Nedra sollte nur vorübergehend bei uns bleiben. Bis ihr Kiefer repariert war, den vielleicht eine etwas heftige Ohrfeige ausgerenkt hatte, und sie so weit hergestellt war, dass man irgendwo ein Stück Familie für sie auftreiben konnte.
Und glauben Sie mir, Charles, wenn man noch alle seine Milchzähne hat, aber keine Papiere, ist das Leben sehr, sehr kompliziert. Wir haben einen Arzt aufgetrieben, der bereit war, sie unter der Hand zu operieren, aber der Rest ist zum Verzweifeln. In der Schule wollten sie sie nicht nehmen, ich unterrichte sie also selbst. Das heißt, ich tue, was ich kann, sie spricht ja nicht.«
»Überhaupt nicht?«
»Doch. Ein bisschen. Wenn sie mit Alice allein ist. Aber sie führt ein Hundeleben. Nein. Pardon. Mit meinen Hunden kann man das nicht vergleichen. Sie ist keineswegs dumm und versteht die Situation sehr gut. Sie weiß genau, dass man sie jederzeit hier herausholen kann und dass ich nichts dagegen tun könnte.«
Plötzlich wurde Charles klar, warum sie gestern in den Wald gerannt war.
»Sie könnte sich immer noch in der Bank verstecken –«
»Nein. Das ist nicht das Gleiche. Yacine hat das Recht, hier zu sein, er ist ein Pflegekind. Ich habe
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