Alles Glück kommt nie
den Mädchen Zöpfe geflochten. Ich glaube sogar, dass ich mich als Dame verkleidet habe. Wir waren perfekt!
Die Sozialarbeiterin war jung und fröhlich, ihre Teamkollegin, die Kinderschwester – hm – weniger einnehmend. Ich habe ihnen vorgeschlagen, sich zunächst alles anzuschauen, und wir sind zusammen losgezogen, Sam, seine Schwestern, die Dorfkinder, die hier immer irgendwo herumhingen, die Hunde, das ... Nein, das Lama hatten wir damals noch nicht, aber Sie können sich vorstellen, was für ein Bild wir abgaben.«
Charles konnte es sich sehr gut vorstellen.
»Wir waren stolz wie Bolle. Es war schließlich das schönste Haus der Welt, oder? Die Kinderschwester verdarb uns den Spaß, indem sie alle drei Sekunden fragte, ob es nicht gefährlich sei. Und der Fluss? Ist der nicht gefährlich? Und die Wassergräben? Sind die nicht gefährlich? Und das Werkzeug? Ist das nicht gefährlich?
Und der Brunnen? Und das Rattengift im Pferdestall? Und – dieser große Hund da?
Und Ihr dummes Geschwätz?, hätte ich ihr am liebsten entgegengehalten, hat das nicht schon genug Schaden angerichtet?
Aber nun gut, ich war an dem Tag sehr fair play . Sie sehen ja, habe ich gescherzt, meine haben sich bisher tapfer geschlagen.
Dann habe ich sie in meinen Salon geführt. Sie kennen ihnnicht, aber er ist wirklich schick. Ich nenne ihn mein Bloomsbury. Es gibt zwar an den Wänden und über dem Kamin keine Fresken von Vanessa Bell und Duncan Grant, aber alles ist von unserer lieben Alice. Ansonsten hat der Raum einiges vom Charleston. Trödelkram, Bilder, Chaos. Damals war alles noch zivilisierter. Die Möbel von Pierre und Ellen machten noch ein bisschen was her, und die Hunde durften noch nicht auf die mit Chintz bezogenen Canapés.
Ich fuhr alles auf. Silberteekanne, bestickte Servietten, scones, cream and jam . Die Mädchen bedienten, und ich zupfte mein Kleid zurecht, bevor ich mich setzte. Die Königin persönlich wäre delighted gewesen.
Zwischen der jungen Sozialarbeiterin und mir hat die Chemie sofort gestimmt. Sie stellte kluge Fragen zu meiner – meiner Einstellung. Meinen Vorstellungen in Sachen Erziehung, meiner Fähigkeit, mich zurückzunehmen, mich auf schwierige Kinder einzulassen, meiner Geduld, meiner Toleranzgrenze. Trotz des geringen Selbstwertgefühls, von dem ich Ihnen vorhin erzählt habe und das mich seitdem treu begleitet hat, fühlte ich mich unantastbar. Ich hatte den Eindruck, mich bewährt zu haben, dieses Haus, in dem es an allen Ecken und Kanten zog, atmete Toleranz aus, und das Kreischen der Kinder im Hof spräche für mich.
Die andere Zicke hörte uns nicht zu. Fassungslos betrachtete sie die elektrischen Leitungen, die Steckdosen, den abgenagten Knochen, der meiner Aufmerksamkeit entgangen war, die zerbrochene Fliese, die feuchten Flecken an den Wänden.
Wir unterhielten uns in aller Ruhe, als sie plötzlich einen leisen Schrei ausstieß: Eine Maus war hereingekommen, um nachzuschauen, ob nicht schon ein paar Krümel unter den Tisch gefallen waren.
Holy Shit!
Ach, die ist bei uns bestens bekannt!, habe ich sie beruhigt, sie gehört zur Familie. Die Kinder geben ihr jeden Morgen Cornflakes.
Es war die Wahrheit, aber ich sah sehr wohl, dass sie mir nicht glaubte.
Sie sind am späten Nachmittag wieder gefahren, und ich habe ein Stoßgebet gen Himmel geschickt, dass die Brücke unter ihrem Auto nicht einstürzt. Ich hatte vergessen, ihnen zu sagen, dass sie auf der anderen Seite parken sollten.«
Charles lächelte. Er saß in der ersten Reihe, und das Stück war wirklich exzellent.
»Ich habe die Genehmigung nicht bekommen. Ich erinnere mich nicht mehr an das Geblubber im Einzelnen, aber es lief darauf hinaus, dass die Elektrik nicht den Normen entsprach. Gut. Im ersten Moment habe ich mich maßlos geärgert, dann habe ich es vergessen. Ich wollte Kinder haben? Tja, ich brauchte bloß aus dem Fenster zu schauen! Sie waren überall.«
»Das hat mir Alexis’ Frau erzählt«, warf Charles ein.
»Was?«
»Dass Sie wie der Flötenspieler von Hameln sind ... Dass Sie alle Kinder aus dem Dorf anlocken.«
»Um sie dann zu ertränken, oder was?«, kam es verärgert von ihr.
»...«
»Pff. Was für eine dumme Nuss. Wie hält Ihr Freund es bloß mit ihr aus?«
»Ich habe Ihnen schon gesagt, dass er nicht mehr mein Freund ist.«
»Das ist dann Ihre Geschichte, habe ich recht?«
»Ja.«
»Sind Sie seinetwegen gekommen?«
»Nein, meinetwegen.«
»...«
»Meine Geschichte kommt noch.
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