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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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hätte, weil ich meinen Vorbildern nicht einmal bis zum Knöchel reichte, haben diese Kinder mir beschert. Ein ganz kleines Los«, sagte sie mit schiefem Lächeln, »aber wohl interessant genug, um Sie bis drei Uhr morgens wach zu halten.«
     
    Sie hatte sich umgedreht und lächelte ihm in die Augen.
    Und in diesem Augenblick war Charles klar.
    Dass er in der Falle saß.
     
    »Ich weiß, dass Sie unter Zeitdruck stehen, aber Sie werden doch jetzt nicht mehr fahren, oder? Sie können Samuels Zimmer haben, wenn Sie wollen.«
    Weil sie die Arme verschränkt und sich auf diese Weise offenbart hatte und er überhaupt nicht mehr unter Zeitdruck stand, setzte er nach: »Eine letzte Sache noch –«
    »Ja?«
    »Sie haben mir noch nicht von Ihrem Ring erzählt.«
    »O ja! Wo habe ich nur meine Gedanken?«
    Er sah sie an: »Tja ...«
    Sie beugte sich zu ihm vor und legte den Zeigefinger aufihren rechten Wangenknochen: »Sehen Sie den kleinen Stern hier? Zwischen den ganzen Krähenfüßen?«
    »Klar sehe ich ihn«, versicherte Charles, der ziemlich kurzsichtig war.
    »Das war die erste und letzte Ohrfeige, die mein Vater mir versetzt hat. Ich war damals so um die sechzehn, und sein Ring hat mich verletzt. Der Arme, er war vor Kummer ganz krank. So krank, dass er ihn nie wieder getragen hat.«
    »Was hatten Sie denn angestellt?«, fragte Charles entrüstet. »Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht hatte ich gesagt, dass mir Plutarch zum Hals raushängt!«
    »Warum das denn?«
    »Plutarch hat eine Abhandlung über Kindererziehung geschrieben, die mich total genervt hat! Nein, war nur ein Scherz, ich denke, es ging wieder mal ums abendliche Ausgehen. Egal. Es hat jedenfalls geblutet. Und natürlich habe ich die Sache richtig hochgespielt, danach habe ich die Gemme nicht mehr gesehen.
    Die mir im Übrigen sehr gefiel. Von der ich als kleines Mädchen träumte. Dieser blaue Stein. Ich bin nicht sicher. Ich glaube, er heißt Niccolo. Und das Motiv. Es ist jetzt etwas schmutzig, aber sehen Sie diesen jungen Mann, der so beherzt mit einem Hasen auf der Schulter dahinschreitet? Ich fand ihn toll. Er hatte so einen schönen Hintern. Ich habe meinen Vater oft gefragt, wo der Stein abgeblieben ist, aber er erinnerte sich nicht. Vielleicht hatte er ihn verkauft.
    Zehn Jahre später dann, nachdem wir das Richterzimmer verlassen hatten und die Würfel gefallen waren, sind wir zur Place Saint-Sulpice gefahren, um Tee zu trinken. Mein alter Papa hat so getan, als suchte er seine Brille, und hat den Ring herausgeholt, der in ein Taschentuch gewickelt war. You make us proud , sagte er und hat ihn mir geschenkt. Here,you’ll need it,too, whenyou’re lookingfor respect . Am Anfang war er mir viel zu groß und schlackerte auch am Mittelfinger, aber bei dem vielen Holz, das ich gehackt habe, hält er jetzt sehr gut an meinen Pranken!
    Vor zwei Jahren ist mein Vater gestorben. Das war noch einmal mit großen Schmerzen verbunden. Aber natürlichen Schmerzen.
    Wenn er im Sommer kam, trug ich ihm auf, das Marmeladekochen zu beaufsichtigen. Das war wirklich ein Job für ihn. Er nahm sein Buch, setzte sich vor die Aga, blätterte mit einer Hand die Seiten um und hielt in der anderen den Holzlöffel, mit dem er in der Marmelade rührte. An einem dieser langen Aprikosen-Nachmittage hat er mir meine letzte Unterrichtsstunde in Altertumskunde gegeben.
    Er habe lange darüber nachgedacht, ob er mir die Gemme schenken sollte, gestand er mir, denn laut seinem Freund Herbert Boardman hängt das Motiv mit einem Thema zusammen, das im Repertoire der frühen Gemmologie häufig wiederkehrt, dem der ›Tier und Ernteopfer‹.
    Es folgte eine ausführliche Theorie über Opfervorstellungen, die von den Elegien des Tibullus und der ganzen Clique klangvoll veranschaulicht wurden, aber ich hörte ihm nicht mehr zu. Ich betrachtete sein Spiegelbild im Kupfertopf und schätzte mich glücklich, dass ich unter den Blicken eines derart feinfühligen Mannes hatte aufwachsen dürfen.
    Wie du siehst, ist diese Opfervorstellung ziemlich relativ und ...
    Take it easy, Dad , habe ich ihn beruhigt, du weißt genau, there is no sacrifice at all. Also konzentriere dich, sonst brennt hier noch was an ...«
     
    Seufzend stand sie auf: »So. Das war’s. Sie können von mir aus machen, was Sie wollen, aber ich gehe jetzt schlafen.«
     
    Er nahm ihr das Tablett aus der Hand und trug es zur Spüle. »Ich finde es unglaublich«, sagte er, »bei Ihnen wird alles zu einer Geschichte, und alle

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