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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Geschichten sind schön –«
    »Aber alles ist eine Geschichte, Charles. Absolut alles und für alle. Man findet nur nie jemanden, der sie hören will.«
     
    Das letzte Zimmer am Ende des Flurs, hatte sie gesagt. Es war ein kleines Mansardenzimmer, und wie schon in Mathildes Zimmer besah sich Charles lange die Wände des Jungen. Vor allem ein Foto zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Es war mit Reißzwecken über dem Bett an der Stelle des üblichen Kruzifixes befestigt, und das Ehepaar, das Charles darauf anlächelte, versetzte ihm den letzten Stich dieses Tages.
    Ellen sah so aus, wie Kate sie beschrieben hatte: freudestrahlend. Pierre küsste sie auf die Wange und hielt in der Armbeuge einen kleinen schlafenden Jungen.
    Er setzte sich auf die Bettkante, den Kopf gesenkt, die Hände gefaltet.
     
    Was für eine Reise.
    Er hatte noch nie in seinem Leben einen solchen Jetlag erlebt. Diesmal beschwerte er sich nicht, war nur ein wenig – verloren.
     
    Anouk ...
    Was war das schon wieder für ein Schlamassel?
    Und warum bist du gegangen, wenn sich doch alle, die du geliebt hättest, so viel Mühe gaben, um weiterzumachen?
    Warum hast du sie nicht öfter besucht? Du hast uns doch immer gepredigt, dass man seine wahre Familie unterwegs findet.
    Und? Das hier war dein Haus. Und diese hübsche Frau auch. Sie hätte dich über die andere hinweggetröstet.
    Warum habe ich dich nie mehr angerufen? Ich habe in diesen Jahren so viel gearbeitet, trotzdem hinterlasse ich nichts, was mich überleben wird. Das einzige wichtige Fundament, das mich bis in dieses Zimmerchen geführt hat und meine ganze Aufmerksamkeit verdient hätte, habe ich mit Egoismus und Wettbewerben zugeschüttet. Die meisten habe ich verloren. Nein, ich mache mir keine Vorwürfe, das hättest du gehasst, ich mache nur ...
    Er zuckte zusammen. Eine Katze hatte seine Hand gefunden.
     
    An einer Toilettenwand entdeckte er Kates Schrift in Originalversion. Es war ein Zitat von E. M. Forster, und es lautete ungefähr so:
    »I believe in aristocracy, though. Dennoch glaube ich an die Aristokratie – wenn dies das richtige Wort ist und ein Demokrat es verwenden darf. Ich meine nicht eine Aristokratie der Macht, die sich auf Rang und Einfluss stützt, sondern eine Aristokratie der Einfühlsamen, der Fürsorglichen und der Tapferen. Ihre Mitglieder sind in allen Nationen, in allen Klassen und in allen Zeitaltern zu finden, und es besteht ein geheimes Einvernehmen unter ihnen, wenn sie einander begegnen . Sie verkörpern die wahre menschliche Tradition, den einzig beständigen Sieg unserer seltsamen Rasse über Grausamkeit und Chaos.
    Tausende von ihnen verschwinden im Dunkeln, nur wenige treten ans Licht. Sie sind anderen gegenüber ebenso feinfühlig wie im Umgang mit sich selbst, sie sind umsichtig, ohne pedantisch zu sein, ihr Mut ist keine Angeberei, sondern die Kraft, etwas zu ertragen, und sie haben Humor. «
     
    Tja, seufzte Charles, nicht nur, dass er gespürt hatte, wie er immer kleiner wurde, je mehr sie von ihrem Leben erzählte, jetzt auch noch das. Noch vor ein paar Stunden hättest du dir bei der Lektüre dieses Textes nur ein paar Übersetzungsfragen gestellt, queer , race, swankiness ... Aber jetzt hörte er förmlich die Worte. Er hatte den Kuchen dieser Leute gegessen, ihren Whisky getrunken, hatte sich den ganzen Nachmittag mit ihnen im Freien aufgehalten und gesehen, wie sie sich in ein Lächeln am Rande von Tränen verwandelt hatten.
    Das Schloss stand nicht mehr, der Adel war geblieben.
     
    Vornübergebeugt, die Hose über den Knöcheln, fühlte er sich ziemlich beschissen.
    Während er das Toilettenpapier suchte, entdeckte er ihre Haiku-Anthologie.
    Er schlug sie aufs Geratewohl auf:
     
    Klettere langsam
    Du kleine Weinbergschnecke
    Du bist am Fuji!
     
    Er lächelte, dankte Kobayashi Issa für seine moralische Unterstützung und schlief im Bett eines jungen Mannes ein.
     
    *
     
    Er stand in aller Herrgottsfrühe auf, ließ die Hunde raus, bevor er zu seinem Auto ging, machte einen kleinen Umweg, um die ersten Sonnenstrahlen auf dem Ocker des Pferdestalls zu erhaschen. Legte die Hände an die Scheibe, sah schlafende Teenies, fuhr zur Bäckerei und kaufte den gesamten Vorrat an Croissants. Na ja, dessen, was die Verkäuferin mit vom Schlaf verquollenen Gesicht Croissants nannte.
    Ein Pariser hätte gesagt, »diese kleinen gebogenen Brioches hier«.
    Als er zurückkam, roch es in der Küche angenehm nach Kaffee, und Kate war bereits im

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