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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Höhle des Löwen.
    »Und ...«, nahm Claire den Faden wieder auf, »ist sie hübsch?«
    »Das habe ich doch gerade gesagt ...«
     
    *
     
    Charles setzte sich wieder an den Tisch.
    Das Grab direkt am Schrottplatz, sein Graffiti auf dem Grabstein, Sylvie, die Abschnürbinde, die Taube, sein Unfall auf dem Boulevard de Port-Royal, Alexis’ leerer Blick, sein kümmerliches Leben ohne Träume und ohne Musik als Substitutionstherapie, die Gestalten am Lagerfeuer, Anouks Vermächtnis, der Dosenwurfstand, die Farbe des Himmels, die Stimme des Polizeiwachtmeisters, die Winter in Haus Vesperies, Kates Nacken, ihr Gesicht, ihre Hände, ihr Lachen, diese Lippen, die sie permanent beansprucht hatte, ihrer beider Schatten, New York, der letzte Satz in Thomas Hardys kurzem Roman, sein Bett voller Splitter und die Plätzchen, die er jeden Abend aufs Neue zählte.
     
    Claire hatte ihren Teller nicht angerührt.
    »Du, das wird kalt«, warnte er.
    »Jaaa. Wenn du die ganze Zeit nur die Kekse befummelst, wird es sich abkühlen, so viel ist sicher –«
    »Was soll ich denn tun?«
    »Den Architekten geben.«
    »Du hast das Bauwerk nicht gesehen.«
     
    Sie leerte ihr Glas, erinnerte ihn daran, dass sie heute die Rechnung übernahm, sah auf die Schiefertafel und legte das Geld auf den Tisch: »Wir müssen los.«
    »Jetzt schon?«
    »Ich habe noch keine Fahrkarte.«
     
    »Warum fährst du hier lang?«, fragte er.
    »Ich bringe dich nach Hause.«
    »Und das Auto?«
    »Ich lass dich in Ruhe, sobald du eine Reisetasche und deine Skizzenbücher hinten eingeladen hast.«
    »Bitte?«
    »Du bist zu alt, Charles. Du musst was tun. Du wirst es doch mit ihr nicht genauso machen wie mit Anouk? Dafür bist du einfach – zu alt. Verstehst du?«
    »...«
    »Ich behaupte ja nicht, dass es funktioniert, aber ... Weißt du noch, wie du mich gezwungen hast, mit dir nach Griechenland zu kommen?«
    »Ja.«
    »Tja. Jeder ist mal an der Reihe.«
     
    Er trug ihren Koffer und begleitete sie bis zu ihrem Abteil. »Und du, Claire?«
    »Ich?«
    »Du hast mir von deinen Liebschaften noch gar nichts erzählt ...«
    Sie rang sich eine Grimasse ab, um nicht antworten zu müssen.
     
    »Es ist zu weit«, fuhr er fort.
    »Was denn?«
    »Alles.«
    »Stimmt. Du hast recht. Geh zurück zu Laurence, zünde für Anouk weiterhin Kerzen an, reiß dir für Philippe den Arsch auf und bring Mathilde ins Bett, bis sie die Fliege macht, das ist weniger anstrengend.«
    Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie hinzufügte: »Und stell den Tauben noch Brot hin, wenn du schon dabei bist ...«
    Dann verschwand sie, ohne sich noch einmal umzudrehen.
     
    Charles hielt an einem Outdoor-Laden, fuhr ins Büro, füllte seinen Kofferraum mit Büchern und Unterlagen, schaltete seinen Computer aus, seine Lampe, hinterließ Marc einen großen Zettel mit Aufgaben. Er wisse nicht, wann er zurück sei, er sei per Handy schwer zu erreichen, würde sich melden und wünsche ihm gutes Gelingen.
    Dann machte er noch einen Umweg zur Rue d’Anjou. Dort gab es einen Laden, in dem er mit Sicherheit fündig werden würde ...

9
    Er drehte einen ganzen Spielfilm. Einen Vorspann von fünfhundert Kilometern und fast ebenso viele Versionen von der ersten Szene.
    Es war das reinste Schubidubidu. Wie er auftauchte, sie zurückkehrte. Er lächelte, sie erstarrte. Er die Arme ausbreitete, sie ihm um den Hals fiel. Er in ihren Haaren war, sie an seinem Hals. Wie er sagte, ich kann ohne dich nicht leben, sie zu ergriffen war, um zu antworten. Wie er sie hochhob, sie lachte. Er sie davontrug, Richtung – hm ...
    Okay, das war schon die nächste Szene, und der Drehort wäre vermutlich voller Komparsen.
     
    Fünfhundert Kilometer. Da gingen jede Menge Filmrollen drauf. Er hatte alles vor sich gesehen, aber natürlich spielte sich nichts so ab, wie er es sich vorgestellt hatte.
    Es war gegen zehn Uhr abends, als er die Brücke überquerte. Das Haus war leer. Er hörte Gelächter und Geschirrklappern aus dem Garten, folgte dem Kerzenlicht und sah genau wie letztes Mal am Ende der Wiese viele Gestalten, die sich umdrehten, bevor er ihr Gesicht erblickte. Gestalten fremder Erwachsener. Mist. Am liebsten würde er zurückspulen.
    Yacine rannte ihm entgegen. Als er sich zu ihm beugte, um ihn zu begrüßen, sah er, wie sie ihrerseits aufstand.
     
    Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie genauso schön war wie in seinen Erinnerungen.
    »Was für eine nette Überraschung«, sagte sie.
    »Ich störe

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