Alles Glück kommt nie
ihn, allen ein Glas einzuschenken. Er selbst habe zu tun.
Verzog sich mit einem Glas in der Hand und schüttelte sein Haupt, als könnte er es nicht fassen, dass er so gerührt war.
Dann wandte er sich wieder an die Gäste. Mit dem Kinn zeigte er auf das Abreißheft auf der Theke: »Bitte seien Sie so freundlich und tragen Sie Ihre Bestellungen selbst ein, reißen Sie die erste Seite ab und legen Sie sie in die Durchreiche«, knurrte er. »Und behalten Sie die Durchschrift bei sich, damit Sie die Rechnung am Ende selbst ausrechnen können.«
Die Tür schloss sich hinter ihm, sie hörten ihn aber noch sagen: »Und schreiben Sie unbedingt in Druckschrift! Ich bin Analphabet!«
Und dann ein Lachen.
Gewaltig. Gastronomisch.
»O Mann, Philou, O Mann!«
Charles wandte sich an seine Schwester: »Du hast recht, dieses Lokal ist absolut originell ...«
Er schenkte ihnen ein und gab dann die Flasche an den Nachbartisch weiter.
»Ich kann es nicht glauben«, murmelte sie, »ich hatte den Typ für total asexuell gehalten –«
»Das ist mal wieder typisch für euch Weiber. Sobald ein Kerl ein bisschen nett ist, kastriert ihr ihn.«
»Warum nicht?«, flötete sie.
Sie trank einen Schluck und schob nach: »Sieh dich an. Du bist der netteste Kerl, den ich kenne, und –«
»Und was?«
»Nein. Nichts. Du lebst mit einer – hm – supertollen Frau zusammen.«
»...«
»Sorry«, korrigierte sie sich. »Der war nicht so gut.«
»Ich bin gegangen, Claire.«
»Was? Wie?«
»Von zu Hause.«
»Neeeiin???«, kam es belustigt von ihr.
»Dooooch«, gab er düster zurück.
»Champagner!«
Und da er nicht reagierte: »Bist du unglücklich?«
»Noch nicht.«
»Und Mathilde?«
»Keine Ahnung. Sie will zu mir ziehen, sagt sie.«
»Wo wohnst du?«
»In der Nähe der Rue des Carmes.«
»Das wundert mich nicht.«
»Dass ich gegangen bin?«
»Nein. Dass Mathilde mitkommt.«
»Warum?«
»Teenies lieben nun mal großherzige Menschen. Später legt man sich ein dickeres Fell zu, aber in dem Alter braucht man noch ein bisschen Wohlwollen ... Aber sag mal, wie machst du das mit deiner Arbeit?«
»Keine Ahnung. Ich werde einiges umstellen, denke ich.«
»Du wirst dein ganzes Leben umstellen müssen.«
»Umso besser. Das andere hatte ich auch satt. Ich dachte immer, es wären die Jetlags, aber das stimmte nicht, es war – wie du gesagt hast – eher eine Frage des Wohlwollens.«
»Ich fasse es nicht. Seit wann denn?«
»Seit einem Monat.«
»Seit du Alexis wiedergesehen hast?«
Charles lächelte. Nicht dumm, diese Frau.
»Genau.«
Claire verschanzte sich hinter der Weinkarte, um ein leises »Danke, Anouk!« auszustoßen.
Er antwortete nicht. Lächelte noch.
»Duuu?«, fragte sie und sah ihn von unten herauf an, »hast du vielleicht jemanden kennengelernt?«
»Nein.«
»Lügner. Du bist puterrot.«
»Das sind die Bläschen –«
»Und wie sehen sie aus, deine Bläschen? Sind sie blond?«
»Bernsteinfarben.«
»Na also. Einen Moment mal. Bestellen wir erst, damit wirnicht von diesem Cro-Magnon angeschnauzt werden, dann habe ich ...«, sie sah auf die Uhr, »drei Stunden Zeit, um dir die Würmer aus der Nase zu ziehen. Was nimmst du? Gefülltes Rinderherz? Gebratenen Kalbskopf mit Salatherzen?«
Er holte seine Brille heraus. »Wo siehst du das?«
»Mir gegenüber«, kicherte sie.
»Claire?«
»Mhmm?«
»Was machen die Typen bloß, die im Gericht auf der gegnerischen Seite sitzen?«
»Sie rufen nach ihrer Mutter. Also, ich hab was gefunden. Und? Wer ist es?«
»Keine Ahnung.«
»O Mann, jetzt komm mir nicht wieder mit der Tour.«
»Ist ja gut, ich erzähle dir alles, und du schlaues Köpfchen kannst mir dann ja sagen, was das für eine Frau ist.«
»Eine Mutantin?«
Er nickte.
»Was hat sie denn so Besonderes?«
»Ein Lama.«
»?!?«
»Ein Lama, zweitausend Quadratmeter Dachfläche, einen Fluss, fünf Kinder, zehn Katzen, sechs Hunde, drei Pferde, einen Esel, Hühner, Enten, eine Ziege, Schwalben, jede Menge Narben, eine Gemme, Peitschen, einen Friedhof im Kleinformat, vier Backöfen, eine Kettensäge, einen Häcksler, einen Reitstall aus dem achtzehnten Jahrhundert, ein aufregendes Dachstübchen mit umwerfendem Unterbau, zwei Sprachen, mehrere hundert Rosen und eine herrliche Aussicht.«
»Und was soll das sein?«, fragte sie mit großen Augen.
»Ich sehe schon! Du wirst daraus auch nicht schlauer als ich.«
»Wie heißt sie?«
»Kate.«
Er nahm ihre Bestellung und trug sie vor die
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