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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Wohltat war. Du arme Rechtsverdreherin, fähig, Millionen Kubikmeter Wasser zu bändigen, indem du dich an einen riesigen Staudamm lehnst, aber unfähig, drei Tränen aufzuhalten, bald wirst du mitgerissen, ertrinkst in einem lächerlichen Kummer.
     
    Geh schlafen.

5
    Sie war ihm ins Badezimmer nachgekommen.
    »Air France hat eine Nachricht für dich hinterlassen, sie haben deinen Koffer.«
    Er brummt etwas und spült den Mund aus.
    Sie fügt hinzu: »Wusstest du das?«
    »Pardon?«
    »Dass du ihn am Flughafen stehengelassen hast?«
    Er nickt, und ihr gemeinsames Spiegelbild nimmt ihr den Mut. Sie dreht sich weg, um ihre Bluse aufzuknöpfen.
     
    Sie fährt fort: »Darf man wissen, warum?«
    »Er war zu schwer.«
    Stille.
    »Und darum hast du ihn stehenlassen?«
    »Der BH ist neu, oder?«
    »Darf man wissen, was hier los ist?«
    Die Szene spielte sich im Spiegel ab. Zwei Oberkörper.
    Schlechtestes Kasperletheater. So blickten sie sich seit einiger Zeit schon aus nächster Nähe an, aber nicht genau genug. »Darf man wissen, was hier los ist?«, wiederholte sie. »Ich bin müde.«
    »Und weil du müde bist, hast du mich vor allen gedemütigt?«
    »...«
    »Warum hast du das gesagt, Charles?«
    »...«
    »Über Mathilde.«
    »Was ist das? Seide?«
    Sie war kurz davor ..., konnte sich aber noch beherrschen. Verließ das Zimmer und löschte das Licht.
     
    Sie war wieder aufgestanden, als er sich am Sessel abstützte, um sich die Schuhe auszuziehen, er war erleichtert. Wenn sie tatsächlich eingeschlafen wäre, ohne sich abzuschminken, wäre es ein Zeichen dafür gewesen, dass die Situation wirklich ernst war. Aber so weit war es noch nicht.
    Würde es nie kommen. Die Sintflut vielleicht, aber erst danach die Augenpartie. Die Erde bebt, aber man führt ihr Feuchtigkeit zu.
    Führt ihr Feuchtigkeit zu.
     
    Er setzte sich auf den Bettrand und fühlte sich plump. Vielmehr schwer. Schwer.
    Anouk, seufzte er, als er sich hinlegte. Anouk ...
    Was würde sie heute über ihn denken? Was würde sie wiedererkennen? Und dieses Departement, was sollte das überhaupt? Was machte Alexis so weit weg? Und warum hatte er ihm keine richtige Trauerkarte geschickt? Einen Briefumschlag mit schwarzem Rand. Ein präzises Datum. Einen Ort. Die Namen von Menschen. Warum nicht? Was sollte das? War es eine Strafe? Grausamkeit? Einfach nur eine Information, meine Mutter ist gestorben, oder ein letzter Auswurf, und du hättest nie davon erfahren, wenn ich nicht die Herzensgüte besessen hätte, ein paar Cent auszugeben, um dich zu informieren.
     
    Wer war er heute? Und seit wann war sie tot? Er hatte nicht die Geistesgegenwart besessen, sich den Poststempel genauer anzuschauen. Seit wann hatte der Brief bei seinen Eltern auf ihn gewartet? Wie weit waren die Maden schon gekommen? Was war von ihr noch übrig? Hatte er ihre Organe gespendet, wie er es so oft hatte versprechen müssen?
    Versprich es mir, sagte sie. Versprich es mir bei meinem Herzen.
    Und er versprach es ihr.
    Anouk, verzeih mir. Ich ... Wer hat dich umgebracht? Und warum hast du nicht auf mich gewartet? Warum bin ich nie zurückgekommen? Doch. Ich weiß, warum. Anouk, du ... Laurence’ Seufzer setzten seinem Delirium jäh ein Ende. Adieu.
     
    »Was sagst du?«
    »Nichts, entschuldige. Ich ...«
    Er streckte den Arm nach ihr aus, fand ihre Hüfte und legte seine Hand darauf. Sie hörte auf zu atmen.
    »Tut mir leid.«
    »Ihr seid so hartherzig zu mir«, murmelte sie.
    »...«
    »Mathilde und du. Ihr seid ... Ich habe das Gefühl, mit zwei Teenagern zu leben. Ihr macht mich fertig. Ihr raubt mir meine Kräfte, Charles. Was bin ich heute für euch? Diejenige, die ihren Geldbeutel öffnet? Ihr Leben? Ihre Bettdecke? Ich kann nicht mehr. Ich ... Verstehst du?«
    »...«
    »Hörst du mich?«
    »...«
    »Schläfst du?«
    »Nein. Entschuldige. Ich habe zu viel getrunken und ...«
    »Und was?«
    Was konnte er ihr sagen? Was würde sie verstehen? Warum hatte er ihr nie davon erzählt? Was hatte er überhaupt zu erzählen? Was war von all den Jahren geblieben? Nichts. Ein Brief.
    Ein anonymer Brief, zerrissen im Mülleimer seiner Eltern ...
    »Ich habe heute Abend erfahren, dass jemand gestorben ist.«
    »Wer?«
    »Die Mutter eines Schulfreunds.«
    »Die Mutter von Pierre?«
    »Nein. Die Mutter eines anderen. Den du nicht kennst. Wir sind nicht mehr befreundet.«
    Sie seufzte. Klassenfotos, Butterbrote und Fernsehzirkus imKinderprogramm waren nicht ganz ihr Ding. Verklärungen der

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