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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Freundin.«
    »Du hast mich nicht geweckt.«
    Stille.
    »Sag was«, flüsterte sie.
    »Es ist die Nacht«, sagte er und räusperte sich. »Die Angst vor der Nacht. Davon hat sie immer gesprochen, weißt du noch? Wie die Leute durchdrehten, den Kopf verloren, sich in ihrem Wasserglas ertränkten und die Hand nach ihr ausstreckten. Morgen geht’s wieder besser. Du musst jetzt schlafen.«
    Lange Stille.
    »Du ...«
    »Ich ...«
    »Weißt du noch, was du damals zu mir gesagt hast? In diesem verfluchten Café gegenüber der Klinik?«
    »...«
    Du hast gesagt: »Du wirst andere Kinder haben.«
    »Claire –«
    »Entschuldige. Ich lege auf.«
    Er richtete sich auf. »Nein! Das wäre zu einfach! So einfach kommst du mir nicht davon. Denk gut nach. Denk einmal an dich. Nein, das kannst du nicht so gut. Dann denk an dich als furchtbar komplizierte Akte. Sieh mir in die Augen und sag es mir ins Gesicht: Bereust du die – die Entscheidung? Bereust du sie wirklich? Seien wir ehrlich, Frau Strafverteidigerin.«
    »Ich werde einund–«
    »Sei ruhig. Das ist mir egal. Ich will nur, dass du mit ›ja‹ oder ›nein‹ antwortest.«
    »...vierzig«, fuhr sie fort, »ich war in diesen Typ unsterblich verliebt, und danach habe ich rangeklotzt, um zu vergessen, und ich habe so gut rangeklotzt, dass ich auf der Strecke geblieben bin.«
    Sie lachte höhnisch. »Schön blöd, was?«
    »Der Typ war nicht so toll ...«
    »...«
    »Ein einziges Mal hat er sich dir gegenüber korrekt verhalten, das war, als er gesagt hat, dass er diese Schwangerschaft nicht will.«
    »...«
    »Und ich sage absichtlich Schwangerschaft, Claire, um nicht zu sagen ... Denn mehr war es noch nicht. Nichts. Nur –«
    »Halt den Mund«, blaffte sie, »du weißt nicht, wovon du sprichst.«
    »Du auch nicht.«
    Sie legte auf.
    Er insistierte.
    Geriet an ihre Mailbox. Rief auf dem Festnetz an. Beim neunten Klingeln wurde sie schwach.
    Sie hatte eine Kehrtwende gemacht. Ihre Stimme klang fröhlich. Das hatte vermutlich mit ihrem Job zu tun. Ein Täuschungsmanöver, um ihr Plädoyer zu retten.
    »Hallo, SOS Pathos, guten Abend, Frau Sibylle am Apparat ...«
    Er lächelte in die Dunkelheit.
    Er mochte dieses Mädchen.
    »Wir garantieren für nichts, klar?«, sagte sie.
    »Nein.«
    »Damals wären wir mit deinen Kommilitonen ins Balto gegangen und hätten so viel getrunken, dass wir nicht in der Lage gewesen wären, solchen Blödsinn zu erzählen. Und weißt du, was dann? Dann hätten wir gut geschlafen. Sehr gut geschlafen. Mindestens bis zwölf –«
    »Oder bis zwei –«
    »Du hast recht. Bis zwei, bis Viertel nach zwei. Und danach hätten wir Hunger gehabt.«
    »Und es wäre nichts zu essen dagewesen.«
    »Genau, und weißt du, was das Schlimmste wäre? Es hätte nicht mal einen Champion-Supermarkt gegeben«, seufzte sie.
    Ich stellte sie mir vor, in ihrem Zimmer, mit dem schiefen Lächeln, den Aktenordnerstapeln am Fußende, den Kippen in einem Rest Kräutertee, dem schrecklichen Nachthemd aus feinster Baumwolle, das sie ihr Altjungfern-Negligé nannte. Ich konnte übrigens hören, wie sie hineinschniefte.
    »Der reinste Blödsinn, stimmt’s?«
    »Der reinste Blödsinn«, bestätigte ich.
    »Warum bin ich so blöd?«, fragte sie flehentlich. »Vermutlich ein Gendefekt. Deine Schwestern haben die ganze Intelligenz abgekriegt ...«
    Ich hörte ihre Grübchen. »Gut, machen wir Schluss«, sagte sie, »aber auch du, mein Lieber, pass auf dich auf.«
    »Ach, ich –«, wiegelte ich müde ab.
    »Ja, du. Wo du nie ein Wort sagst. Dich niemandem anvertraust, hinter deinen Raupenschleppern herjagst und dich dabei für Fürst Andrej hältst.«
    »Das hast du schön gesagt.«
    »Pah. Das ist mein Job, wenn ich dich daran erinnern darf! Also dann, gute Nacht.«
    »Warte! Noch eine letzte Sache.«
    »Ja?«
    »Ich bin nicht sicher, ob es mir wirklich gefällt, deine beste Freundin zu sein, aber gut, lassen wir das mal so stehen. Dann will ich mit dir aber auch wie die beste aller Freundinnen reden, okay?«
    »...«
    »Verlass ihn, Claire. Verlass diesen Mann.«
    »...«
    »Nicht wegen deines Alters. Nicht wegen Alexis. Nicht wegen der Vergangenheit. Sondern wegen ihm. Er tut dir weh. Ich weiß noch, wie wir uns einmal über deinen Job unterhalten haben und du zu mir gesagt hast: ›Gerechtigkeit ist unmöglich, Gerechtigkeit gibt es nicht. Ungerechtigkeit hingegen schon. Ungerechtigkeit lässt sich leicht bekämpfen, weil sie einem ins Gesicht springt und einem dann alles

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