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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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glasklar erscheint.‹ Tja, an dieser Stelle sind wir jetzt. Mir ist der Typ scheißegal, und wer er ist und was er wert ist, ich weiß nur, dass er für sich genommen eine Ungerechtigkeit in deinem Leben ist. Schieß ihn in den Wind.«
    »...«
    »Bist du noch dran?«
    »Du hast recht. Ich werde eine Diät machen, dann mit dem Rauchen aufhören und ihn anschließend entsorgen.«
    »Genau!«
    »Ganz easy.«
    »Komm jetzt, geh schlafen und träum von einem süßen Jungen –«
    »Mit einem schönen 4 x 4«, seufzte sie.
    »Einem riiiiesigen.«
    »Und einem Flachbildschirm.«
    »Klar doch. Also dann, mach’s gut.«
    »Du auuuuuu–«
    »Scheiße, du bist aber auch anstrengend. Jetzt heulst du schon wieder.«
    »Jaa, aber es geht schon wieder«, schniefte sie, »es geht schon. Es sind richtige Krokodilstränen, und daran bist du schuld, Idiot.«
    Sie legte auf.
    Er schnappte sich ein Kissen und wickelte sich in seine Jacke.
     
    Ende des Tragödienstadels.
     
    *
     
    Wäre Charles Balanda, eins achtzig groß, achtundsiebzig Kilo schwer, barfuß, weite Hose, offener Gürtel, die Arme vor der Brust verschränkt, die Nase in dem alten Kissen versenkt, irgendwann eingeschlafen, wäre die Geschichte zu Ende.
    Er wäre unser Held. Würde in ein paar Monaten siebenundvierzig, er hätte viel zu wenig gelebt. Viel zu wenig ... War nicht sehr begabt fürs Leben. Würde sich sagen, dass das Beste vorbei ist, und ließe sich nicht weiter darüber aus. Das Beste, sagen Sie? Wovon denn? Und für ... Nein, spielt keine Rolle, er ist zu müde. Uns fehlen die Worte, ihm wie mir. Sein Koffer ist zu schwer, und ich habe keine große Lust, den Koffer für ihn zu tragen. Ich verstehe ihn.
    Ich verstehe ihn.
    Aber.
    Dieser Satzfetzen hier, der ihn einholt und ihm einen mit Wasser getränkten Schwamm ins Gesicht drückt, während er halbtot in seiner Ecke hängt.
    Tot und bereits besiegt.
    Besiegt und vollkommen apathisch. Der Ertrag zu gering, die Handschuhe zu eng, das Leben zu vorhersagbar.
    »In drei Monaten.«
    Das hat sie doch gesagt, oder?
     
    Diese drei Worte kommen ihm schlimmer vor als der ganze Rest. Demnach hätte sie von Anfang an Buch geführt? Seit dem ersten Tag nach ihrer letzten Regel? Nein. Das konnte nicht sein ...
    Und all diese Auslassungszeichen, die Berechnungen des Elends, diese Wochen, diese Monate und diese leeren Jahre zwingen ihn, sich umzudrehen.
    Er kriegte sowieso kaum noch Luft.
     
    Seine Augen sind weit geöffnet. Weil sie »in drei Monaten« gesagt hat, überlegt er: im April also. Und die Maschine fährt wieder hoch, und auch er zählt die Leere an den Fingern ab.
    Also Juli, also September, weil es schon zwei Monate her war. Ja, genau. Es fällt ihm wieder ein.
    Der Sommer war fast zu Ende. Er hatte sein Praktikum bei Valmer hinter sich und wollte nach Griechenland fliegen. Es war ihr letzter Abend, sie feierten seinen Abschied. Sie war auf gut Glück vorbeigekommen.
    Das trifft sich gut, hatte er sich gefreut, komm rein, komm schon, dann kann ich dich den anderen vorstellen, und als er sich umdrehte, um sie an der Schulter zu packen, hatte er begriffen, dass sie ...
     
    Ja. Es fällt ihm wieder ein. Und weil es ihm wieder einfällt, fühlt er sich bedrückt. Diese unerträgliche Nachricht, es war die Schlinge, die aus dem nachlässig aufgewickelten Knäuel herausschaute, und als er die Hand aufmachte, um in der Dunkelheit neun Monate, also zwanzig Jahre abzuwickeln, hat er sie zugezogen.
    Pech gehabt. Pech für ihn. Er wird nicht mehr einschlafen. Die Geschichte ist niemals zu Ende. Und er ist noch aufrichtig genug, sich einzugestehen, dass die drei Worte nur eine Ausrede waren. Hätte sie sie nicht gesagt, wäre ihm etwas anderes eingefallen. Die Geschichte ist niemals zu Ende. Der Gong war ertönt, und er muss wieder aufstehen.
    In den Ring zurückkehren und weitere Schläge einstecken.
     
    Anouk ist tot, und Claire war an jenem Abend nicht zufällig vorbeigekommen.

6
    Er war ihr auf die Straße gefolgt. Es war ein schöner Abend, mild, warm, elastisch. Der Asphalt roch angenehm nach Paris, und die Terrassen waren voller Menschen. Mehrmals fragte er sie, ob sie Hunger habe, aber sie lief einfach weiter vor ihm her.
    »Okay«, er regte sich auf, » ich habe Hunger, und ich habe die Schnauze voll. Ich bleibe hier.«
    Sie machte kehrt, holte einen Zettel aus der Tasche und legte ihn auf seine Speisekarte.
    »Morgen. Um fünf.«
    Es war eine Adresse außerhalb von Paris. Eine völlig abwegige

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