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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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kämpft. Er trinkt.
     
    Seine ältere Schwester sieht ihn von der Seite an. Er prostet ihr zu. Sie lässt nicht locker. Er verkündet lächelnd, wobei er jede Silbe in die Länge zieht: »Françoise, würdest du ausnahmsweise, ausnahmsweise einmal ... aufhören, mir auf den Keks zu gehen.«
    Sie sucht mit Blicken nach dem wackeren Ritter, ihrem dämlichen Ehemann, damit er sie verteidigt, aber der versteht ihre empörten Grimassen nicht. Sie bricht zusammen. Zum Glück, tätärätä, ist die andere zur Stelle!
    Edith rügt ihn freundlich und schüttelt den Kopf:
    »Charlot ...«
    Er prostet auch ihr zu, sucht schon nach Worten, aber eine Hand legt sich auf sein Handgelenk. Er wendet sich der Besitzerin zu. Die Hand ist entschlossen, er beruhigt sich.
    Das Stimmengewirr setzt wieder ein. Die Hand ist immer noch da. Er sieht sie an.
    Und fragt: »Hast du Zigaretten?«
    »He! Du hast vor fünf Jahren aufgehört zu rauchen, wenn ich dich daran erinnern darf.«
    »Hast du welche?«
    Seine Stimme macht ihr Angst. Sie zieht ihren Arm zurück.
     
    *
     
    Sie haben beide die Ellbogen auf die Terrassenbrüstung gestützt, kehren dem Licht und der Welt den Rücken.
    Vor ihnen der Garten ihrer Kindheit. Dieselbe Schaukel, dieselben Rabatten, tadellos gepflegt, derselbe Brennofen für Gartenabfälle, derselbe Blick, derselbe fehlende Horizont.
    Claire holt ihre Schachtel aus der Tasche und schiebt sie rüber. Er greift danach, aber sie lässt die Packung nicht los: »Weißt du nicht mehr, wie schwer die ersten Monate waren? Weißt du nicht mehr, wie du gelitten hast, bis du endlich damit aufhören konntest?«
    Er umschließt ihre Hand mit seiner. Er tut ihr dabei wirklich weh, er sagt: »Anouk ist tot.«

3
    Wie lange dauert es, eine Zigarette zu rauchen?
    Fünf Minuten?
    Dann vergehen also fünf Minuten, ohne dass ein weiteres Wort fällt.
    Sie wird zuerst schwach, und ihre Worte bedrücken ihn. Weil er sich davor gefürchtet hat, weil ...
    »Du hast also von Alexis gehört?«
    »Ich wusste, dass du das sagen würdest«, gibt er mit müder Stimme zurück, »ich hätte meine Hand dafür ins Feuer gelegt, und du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mich das –«
    »Wie sehr dich das was?«
    »Wie sehr mich das aufwühlt. Wie sehr mich das ärgert. Wie ich dir das übelnehme, glaube ich. Ich hätte gedacht, du würdest mich fragen: ›Woran ist sie gestorben?‹, oder: ›Wann ist sie gestorben?‹, oder – keine Ahnung. Aber nicht, dass du mir mit ihm kommst, verdammt. Nein, nicht mit ihm. Nicht so mir nichts, dir nichts. Das hat er nicht verdient.«
    Stille.
    »Woran ist sie gestorben?«
    Er holt den Brief aus seiner Innentasche. »Hier. Und sag nicht: ›Das ist seine Schrift‹, sonst bring ich dich um.«
    Sie faltet den Brief auseinander, faltet ihn wieder zusammen, flüstert: »Doch. Das ist wahrhaftig seine Schrift.«
    Er dreht sich zu ihr um.
    Würde ihr gern allerlei sagen. Zärtliches, Schreckliches, strenge Worte, liebe Worte, bescheuerte Worte, Worte eines Waffenbruders oder Worte einer Ordensschwester. Oder sie schütteln, sie grob behandeln, sie in der Mitte auseinanderreißen, aber alles, was ihm einfällt und was er in einer einzigen Silbe stöhnen kann, ist: »Claire ...«
    Und sie, sie lächelt ihm zu, die Heuchlerin. Aber er kennt sie gut, darum legt er die Karten offen auf den Tisch und packt sie am Ellbogen, um sie ans Ufer zu ziehen.
    Sie verstaucht sich den Knöchel im Kies, und er spricht ganz allein. Spricht in die Dunkelheit.
    Er spricht zu ihr, zu sich, zum Brennofen und zu den Sternen, er sagt: »Das war’s.«
     
    Zerreißt den Brief und wirft ihn in den Abfalleimer in der Küche. Als er den Fuß vom Pedal nimmt und der Deckel, klack, wieder zufällt, hat er den Eindruck, gerade noch rechtzeitig eine Pandorabüchse geschlossen zu haben. Und da er vor der Spüle steht, spritzt er sich Wasser ins Gesicht und stöhnt.
     
    Er kehrt zu den anderen zurück, zu seinem Leben. Fühlt sich besser. Das war’s.
     
    *
     
    Wie lange wohl die Wirkung eines Wasserspritzers in einem erschöpften Gesicht anhält?
    Zwanzig Sekunden?
    Dann sind wir jetzt da. Er sucht mit den Augen sein Glas, leert es in einem Zug und schenkt sich nach.
    Setzt sich aufs Sofa. Neben seine Anvertraute. Sie zieht an seiner Jacke.
    »Und du. Sei bloß nett zu mir«, sagt er beschwörend, »ich bin schon ziemlich abgefüllt, weißt du ...«
    Sie findet das gar nicht witzig, es nervt sie eher, trifft sie. Und das ernüchtert ihn.
    Er

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