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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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glauben. Ja, ich habe versucht, euch zu verstehen und euch zu folgen, aber ... Wohin hat es mich geführt?
    In den Stau?
     
    Und du, Alexis, der du mich neulich so von oben herab behandelt hast, mit deiner Corinne, deinem Häuschen und deinen Pantoffeln, hast dich weit weniger aufgespielt, als ich dich auf dem Polizeirevier im 14. Arrondissement abholen musste, weißt du noch?
    Nein, natürlich erinnerst du dich nicht, aber gib mir noch mal für eine Sekunde den Hörer, damit ich dir beschreiben kann, was für ein Häufchen Elend du damals warst. Ich hatte Stunden gebraucht, um dich anzuziehen, dabei die Luft angehalten und dich zum Auto geschleppt. Geschleppt, hörst du? Nicht geführt, geschleppt. Und du hast geheult und mich gleich wieder angelogen. Und das war eigentlich das Schlimmste. Dass du mir nach all den Jahren, nach unseren Kinderschwüren und der Kraft der Jedi-Ritter, nach Nounou und der Musik und Claire und deiner Mutter und meiner, nach all den Gesichtern, die ich nicht wiedererkannte, nach allem, was du um mich herum ruiniert hast, immer noch einen solchen Stuss erzählt hast.
    Am Ende habe ich dich geschlagen, damit du endlich die Klappe hältst, und dich dann in der Notaufnahme vom Krankenhaus abgeliefert.
    Zum ersten Mal bin ich nicht bei dir geblieben, und ich habe mir Vorwürfe gemacht, weißt du?
    Ja, ich habe mir Vorwürfe gemacht, dass ich dich an dem Abend nicht habe verrecken lassen.
     
    Du hast dich wieder berappelt, könnte man meinen. Jetzt bist du stark genug, um anonyme Briefe zu verschicken, deine Mutter auf einen Schrottplatz zu bringen und mir frech ins Gesicht zu lachen. Umso besser, umso besser. Aber soll ich dir mal was sagen? Wenn ich an dich denke, habe ich immer noch diesen Geruch in der Nase. Nach Pisse.
    Und nach Kotze.
     
    Ich weiß nicht, woran Anouk gestorben ist, aber ich erinnere mich an den einen Sonntagnachmittag, als ich euch besucht habe, bevor ich wieder in meinen Schlafsaal musste ...
    Ich war wohl in Mathildes Alter, aber leider bei weitem nicht so schlau wie sie. Hatte nicht ihre scharfe Zunge. Sie hatte mir noch nicht beigebracht, mich vor den Erwachsenen in Acht zu nehmen oder die Augen zusammenzukneifen, wenn das Leben klammheimlich seinen Lauf nahm. Nein, ich war ein Kind. Ein folgsamer kleiner Junge, der euch Kuchenreste brachte und Grüße von seiner Mama bestellte.
     
    Ich hatte euch lange nicht gesehen und meinen obersten Hemdknopf aufgemacht, bevor ich an der Tür läutete.
    Ich war so froh, meiner heiligen Familie für ein paar Stunden zu entrinnen, um etwas von euer Luft zu atmen. Mich in eure unaufgeräumte Küche zu setzen, Anouks Stimmung anhand der Zahl ihrer Armbänder auszuloten, zu hören, wie sie dich anfleht, dass du uns was vorspielst, im Voraus zu wissen, dass du dich weigern wirst, mich mit ihr zu unterhalten, michder Last ihrer Fragen zu beugen, sie meinen Arm, die Schultern, die Haare berühren zu lassen und den Kopf zu senken, wenn sie hinzufügt, was bist du groß geworden, was bist du für ein hübscher Junge, wie die Zeit vergeht, aber ... Warum? Und den Moment abzupassen, wenn sie uns Nounou in Erinnerung rief, indem sie ihre Hand mechanisch auf sein Handgelenk legte, um ihn zum Schweigen zu bringen, bevor sie sie an die Stirn führte und von neuem lachte. Die Gewissheit zu haben, dass du bald schwach werden würdest und dich quer auf den erstbesten Sessel fallen lässt, um dich unserem Getratsche anzuschließen und unser Schweigen sanft abzurunden.
    Ihr konntet es nicht wissen, ihr habt es nie erfahren, aber was blieb mir denn bei den anderen, wenn die Abende lang wurden, das Zusammenleben anstrengend und die Erzieher blöd? Ihr.
    Ihr wart mein Leben.
    Nein. Das konntet ihr nicht verstehen. Ihr, die ihr niemals jemandem gehorcht habt, die ihr den eigentlichen Sinn des Wortes Disziplin nie erfasst habt.
    Vielleicht habe ich euch auch idealisiert. Darüber habe ich zumindest nachgedacht, und ihr müsst zugeben, dass es verlockend war. Ich habe versucht, es mir einzureden, habe euch verwischt, an euch das Sfumato des berühmten Leonardo ausprobiert, der damals mein unangefochtenes Idol war, und an meinen Erinnerungen geschrubbt, damit ihr verblasst, bis ich wieder meinen angestammten Platz an eurem Tisch einnehmen durfte, und während ich anfing, an eurem alten Wachstuch zu kratzen, und zuhörte, wie ihr euch zankt, spürte ich, dass mein Herz wieder schlug.
    Das Blut.
    Das Blut war wiedergekommen.
    »Warum lächelst du so

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