Alles Glück kommt nie
mit der flachen Hand gegen die Tür, um sie so leise wie möglich zu schließen.
Nach dem fünften Vorbeirattern der Linie 6 folgende Korrektur: »Doch.«
Und einige Zeit später schließlich, die Waffen streckend: »Nein.«
*
»Weißes Kleid, die Haare zurückgekämmt, das Lächeln wie auf dem ersten Foto unter dem Kirsch–«
Weißes Kleid. Die Haare zurückgekämmt. Genau dieses Lächeln.
Big Party. An diesem Abend hatten wir alles gefeiert: den fünfunddreißigsten Hochzeitstag von Mado und Henri, Claires erstes Studienjahr in Jura, Ediths Verlobung und Charles’ Prüfung.
Welche? Er wusste es nicht mehr. Irgendeine. Und zum ersten Mal hatte er ein »Mädchen« mit nach Hause gebracht. Welches? Es würde ihm noch einfallen, aber es war völlig egal. Ein junges Mädchen, das ihm ähnlich war ... Ernst, aus gutem Hause, hübsches Gesichtchen, etwas dickliche Knöchel. Eine Studentin, Erstsemester, die er vermutlich im Zimmer nebenan auf die Probe gestellt hatte.
He, Charles. Von dir haben wir mehr erwartet. Einen Vornamen wenigstens.
Laure, glaube ich. Ja, genau, Laure. Keine von der lustigen Sorte mit ihrer Ponyfrisur, die es immer dunkel haben wollte und nach der Liebe kinetische Energie in ihm freisetzte. Laure Dippel.
Er hatte sie um die Taille gefasst, sprach laut, hob sein Glas, erzählte irgendwelchen Blödsinn, wusste seit Monaten nicht mehr, was oben und unten war, nahm den Druck raus und trampelte auf seinen Lorbeeren herum, indem er wie entfesselt tanzte.
Hatte schon ziemlich einen im Tee, als Anouk erschien: »Machst du uns miteinander bekannt?«, fragte sie und warf einen Blick auf das Dekolleté der anderen.
Charles kam der Aufforderung nach und nutzte die Gelegenheit, um sich loszueisen.
»Wer ist das denn?«, fragte das begaffte Mathe-Ass.
»Unsere Nachbarin.«
»Und warum sind ihre Haare nass?«
(Das ist genau die Art von Fragen, die dieses Mädchen ständig stellte.)
»Warum? Woher soll ich das wissen! Vielleicht hat sie gerade geduscht, keine Ahnung!«
»Und warum kommt sie erst jetzt?«
(Typisch. Heute füllt sie bestimmt zwei Spalten im Who’s Who .)
»Weil sie gearbeitet hat.«
»Was –?«
»Krankenschwester«, fiel er ihr ins Wort, »sie ist Krankenschwester. Und wenn du wissen willst, in welchem Krankenhaus sie arbeitet und in welcher Abteilung, wie viele Jahre sie schon dabei ist, welchen Hüftumfang sie hat und wie viele Rentenpunkte, dann musst du sie selber fragen.«
Sie zog einen Flunsch, er ließ sie stehen.
»Na, junger Mann? Würden Sie sich opfern für einen Seniorentanz?«, hörte er eine Stimme hinter seinem Rücken, als er gerade versuchte, sein Feuerzeug aus einem riesigen Punschglas zu fischen.
Sein Lächeln hatte sich vor ihm umgedreht.
»Sie brauchen keine Gehhilfe, Omilein. Ich stehe zu Diensten.«
Weißes Kleid, witzig, schön und verdammt kinetisch. Das heißt der Inbegriff der Eleganz.
Entfesselt in den Armen ihres prämierten Studenten. Sie hatte einen schweren Tag hinter sich, hatte gegen unberechenbare Infektionen gekämpft und verloren. Verlor damals immer. Wollte tanzen.
Tanzen und ihn berühren, ihn, mit seinen Millionen weißen Blutkörperchen und seinem wunderbar funktionierenden Immunsystem. Ihn, der so keusch war, darauf bedacht, sich von ihrem Kleid fernzuhalten, und den sie lachend an sich zog. Scheiß drauf, Charles, scheißegal, fauchte ihr Blick. Wir leben, verstehst du? Leben.
Und er, der sie unter dem erstaunten Blick seiner Freundin gewähren ließ. Der ihr vernünftig, ach so vernünftig, schließlich den Arm und die im Verhältnis zu ihrer Masse hohe Energiezurückgab, bevor er hinausging, um unter dem Sternenhimmel frische Luft zu schnappen.
»Sag mal, die ist ja ganz schön heiß, deine Nachbarin ...« Halt die Fresse.
»Ich meine, für ihr Alter.«
Biest.
»Ich muss nach Hause.«
»Schon?«, fragte er erleichtert.
»Du weißt genau, dass ich am Montag noch eine mündliche Prüfung habe«, seufzte seine Süße.
Er hatte es vergessen.
»Kommst du mit?«
»Nein.«
»Wie bitte?«
Gut, ersparen wir uns die Fortsetzung dieser langweiligen Unterhaltung. Am Ende hatte er ihr ein Taxi gerufen, und sie war abgezogen, um noch einmal durchzugehen, was sie vermutlich längst in- und auswendig wusste.
Als er nach einem unverbindlichen Kuss und zuversichtlichen Ermunterungen wieder zum Haus zurückging, knirschte der Kies unter dem Großen Pfeifenstrauch.
»So, du bist also
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