Alles Glück kommt nie
und ließ sich endlich umarmen.
Entschuldige. Entschuldige. Ihm fiel nichts anderes ein. Er wusste nicht einmal, ob er zu ihr sprach oder zu sich selbst.
Zu ihrer guten Seele oder zu seinem Schritt.
Entschuldige.
Er drückte sie fest an sich, atmete in ihren Nacken, strich ihr über die Haare, holte zwanzig Jahre Verspätung nach und zehn verlorene Minuten. Hörte ihr Herz schlagen, hielt das Unheil zurück, während vom Parkett Applaus zu hören war, und suchte – nach weiteren Worten.
Anderen Worten.
»Entschuldige.«
»Nein. Ich muss ...«, flüsterte ein klägliches Stimmchen, »ich muss ...«, dann versagte es. »Ich dachte, du wärst jetzt groß ...« Sein Vorname wurde gerufen. Man suchte ihn im Garten.
Charles! Foto!
»Geh schon. Geh zu den anderen. Lass mich allein. Ich komme später nach.«
»Anouk ...«
»Lass mich allein, sage ich.«
Ich bin groß, wollte er erwidern, aber der Tonfall ihrer letzten Äußerung hielt ihn davon ab. Also gehorchte er und ging davon als der brave Junge, der er war, um zwischen seinen Schwestern für seine Eltern zu posieren.
*
Claire hatte das Licht gelöscht.
Dann hatte sie abtreiben lassen.
Und Alexis fuhr mit seiner Selbstzerstörung fort.
Spielte aber Trompete wie ein junger Gott, hieß es.
Charles ging fort. Zunächst nach Portugal, dann in die Vereinigten Staaten.
Verließ das Massachusetts Institute of Technology mit einer schönen Medaille und einem Wortschatz, der zum Übersetzen von Liebesliedern und für eine australische Verlobte reichte.
Die er auf der Rückreise verlor.
Worunter er litt. Sehr. Arbeitete für andere mit. Erwarb sein letztes Diplom. Trat der Kammer bei. Schraubte sein Schild an. Gewann aus unverständlichen Gründen einen Wettbewerb, der eine Nummer zu groß für ihn war. Staunte Bauklötze. Lernte schließlich und zumeist auf eigene Kosten, dass »die Verantwortung eines freien Architekten grenzenlos ist und dass er gegen alles, was er sagt, tut und schreibt, versichert sein muss«. Verlangte deshalb eine Empfangsbestätigung, sobald er nur den Bleistift spitzte. Verbündete sich mit einem Typ, der viel talentierter war als er, aber weniger Ideen hatte. Überließ ihm den Ruhm, den Glanz und die Interviews. Übernahm den Part im Hintergrund, war erleichtert, versicherte auch noch den Undankbarsten und sorgte künftig dafür, dass alles lief.
Er sah Anouk wieder. Aß mit ihr gesittet zu Mittag, wobei sie über nichts anderes als seine Kindheit sprachen. Fand sie so schön wie immer, ließ aber nicht mehr zu, dass sie es spürte. Beerdigte seine Großmutter. Verkrachte sich endgültig mit Alexis. Verlor in dieser Zeit einen ersten Schwung Haare und erwarb sich unter seiner hohen Stirn eine Art guten Ruf. Ein Qualitätslabel mit erstklassigem Stammbaum , wie Tierzüchter sagen würden. Hielt ein letztes Mal ihre Hand. Ertrug es nicht mehr, mit anzusehen, wie sie unterging. Sagte ein Mittagessen ab, zu viel Arbeit, dann noch eins. Und noch eins.
Sagte alles ab.
Zeichnete Pläne, kaufte sich seine eigenen vier Wände, hatte Affären, ging nicht mehr in Jazzkneipen, weil sie ihn immer traurig stimmten, und begegnete auf dem Umweg »kleiner« Projekte ohne Rechnung einem Mann, der Wert legte auf seinen Marmor und der eine hübsche Frau hatte.
Baute ein Puppenhaus.
Und zog dort ein.
Schlief schließlich auf dem Fußboden ein, auf einem durchgelegenen Bettsofa, zwischen Wänden, die das alles miterlebt hatten.
Das heißt, nicht viel eigentlich.
War wieder am Ausgangspunkt zurück, hatte die eine und die andere verloren, vielleicht auch die dritte, und würde in wenigen Stunden schreckliche Rückenschmerzen haben.
8
Charles kehrte zur selben Zeit nach Hause zurück wie Mathilde und gewährte Laurence, als sie einen Samstag allein in der Wohnung waren, die berühmte »Unterhaltung«, auf die sie so großen Wert legte.
Es war im Übrigen kein Gespräch. Eher eine lange Anklage. Ein weiterer Prozess. Am Ende weinte sie sogar. Es war das erste Mal, und er war sehr betroffen. Nahm ihre Hand. Doch sie zog sich aus der Affäre, indem sie sich auf einen möglichen Östrogensturz und hormonelle Schwankungen berief. Hinzufügte, dass er das nicht verstehen könne, und nahm ihre Hand zurück. Er zog sich aus der Affäre, indem er eine Flasche Champagner köpfte.
»Feiern wir meine ausgetrocknete Vagina?«, kicherte sie und nahm den Kelch, den er ihr hinhielt.
»Nein. Meinen Geburtstag.«
Sie schlug sich mit der
Weitere Kostenlose Bücher