Alles Glück kommt nie
Mrs-Robinson- Geschichte?«
»Das verstehst du nicht ...«
»Ach so? Dann erklär’s mir«, tobte sie, »los, mach schon, erklär’s mir, wenn ich zu blöd dazu bin.«
Charles zögerte. Er hatte durchaus ein Wort auf der Zunge, aber er wagte nicht, es auszusprechen.
Nicht ihretwegen. Wegen Anouk. Ein Wort, bei dem er sich nie sicher war. Ein Wort, das sich während all dieser Jahre in seinem Getriebe verkeilt und schließlich die ganze Maschinerie außer Gefecht gesetzt hatte.
Also suchte er sich ein anderes. Weniger endgültig, feiger: »Die Zärtlichkeit –«
»Ich wusste nicht, dass wir schon so weit sind«, entgegnete sie.
»Ach? Hast du ein Glück ...«
»...«
»Laurence ...«
Sie hatte sich jedoch schon abgewandt und ihren Stolz wiedergefunden.
Eine Zehntelsekunde lang erwog er, ihr nachzulaufen, hörte aber, wie sie God bless you please, Miessies Robinson, na na nana nana nanana trällerte, und wusste, dass sie nichts verstanden hatte.
Dass sie nicht verstehen wollte.
Und setzte den Weg nach unten fort, hielt sich am Geländer fest.
Tja, Gott segne sie.
Das war wohl das Mindeste, was Er tun konnte, nachdem Er sie so gebeutelt hatte.
Laurence hatte ihr Auto ein paar Meter weiter geparkt. Er ging daran vorbei, blieb stehen, ging zurück, kritzelte ein paar Worte auf eine Seite aus seinem Notizbuch und schob den Zettel unter den Scheibenwischer.
Schuldgefühle? Reue? Eine Erklärung? Abschiedsworte? Nein.
»Mathilde lässt ausrichten, dass mit Samstag alles klargeht.« Das war er.
Genau.
Charles Balanda. Unser Mann. In einer Woche siebenundvierzig, betrogener Lebensgefährte und keinerlei Rechte an dem Kind, das er aufzog, das wusste er. Keinerlei Rechte, aber viel mehr als das. Seine Aufmerksamkeit, diese kleine herausgerissene Seite oder der Beweis, dass die Maschinerie noch nicht komplett im Eimer war. Die Kleine würde sich zu wehren wissen.
Er ging weiter und befühlte seine Taschen. Hatte sich doch wieder geirrt.
Hatte nicht alles Wasser im Flieger abgelassen.
6
Er grüßte kurz. Fand seine abgewetzten Armstützen wieder. Hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Fing an, seinen Computer zu melken. 58 Nachrichten. Seufzte. Begann die Spreu vom Weizen zu trennen und schüttelte in unregelmäßigen Abständen den Kopf, um seine häuslichen Sorgen zu verdrängen. Öffnete aus Versehen folgende Spam-Mail: greeting charles. balanda did you ever ask yourself is my penis big enough? Lächelte etwas gezwungen, hörte sich alle Klagen an, verteilte Ratschläge und aufmunternde Worte, überprüfte die Arbeit des jungen Favre, runzelte die Stirn, schnappte sich seinen Block und füllte ihn mit atemberaubender Geschwindigkeit, öffnete auf seinem Bildschirm ein neues Fenster, dachte nach, dachte lange nach, verscheuchte L.s Gesicht, versuchte zu verstehen, verweigerte mehrere Anrufe, um den Faden seines Gedankengangs nicht zu verlieren, korrigierte einige Fehler, beging andere, schaute in seine Notizen, blätterte in seinen Bibeln, arbeitete, dachte nach, erteilte einen Druckauftrag, stand auf und räkelte sich.
Stellte fest, dass es schon drei Uhr war, wartete lange vor dem Drucker, reagierte irgendwann und suchte vergeblich nach einem Packen Papier.
Steigerte sich in einen völlig überzogenen Wutanfall hinein.
Schlug mit der Hand auf das Gerät, verbog den geöffneten Papierhalter durch einen Tritt, fluchte, tobte, beschimpfte den armen Marc, der die schlechte Idee hatte, ihm zu Hilfe zu eilen, ließ sie alle die Absurdität seiner letzten Monate und das Gewicht seiner Hörner spüren.
»Papier! Papier!«, wiederholte er wie geistesgestört.
Weigerte sich, eine Mittagspause zumachen. Ging zum Rauchen in den Hof und beschwerte sich bei seinem Nachbarn über undichte Stellen.
»Warum erzählen Sie mir das? Bin ich vielleicht der Klempner?«
Brummte eine Entschuldigung, die kein Mensch hörte. Wäre um ein Haar wieder in die Luft gegangen, als sein Blick auf die Akte »Spesenabrechnung« der Baustelle PRAT in Valenciennes fiel, fing sich wieder, kehrte mit guten Manieren und Vernunft zurück, um für immer mit seinen Plänen zu leben.
Am späten Nachmittag hatte er seinen Anwalt an der Strippe: »Ich wollte Sie über die Neuigkeiten in Ihrem Verfahren unterrichten!«, scherzte der andere.
»Hilfe, nein!«, erwiderte er im gleichen Tonfall, »ich zahle Ihnen ein Vermögen, damit Sie mich nicht unterrichten!«
Und nach einem Gespräch, das über eine Stunde dauerte und
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