Alles Glück kommt nie
zu revanchieren: »Weißt du, Mathilde –«
»Was?« (im Ton von: Was denn jetzt schon wieder? )
»Wir sind alle käuflich.«
»Ich weiß«, gab sie wie aus der Pistole geschossen zurück.
Die Entschiedenheit, mit der sie mir eine Abreibung verpasste, stimmte mich nachdenklich. Ich hatte den Eindruck, dass wir zu Zeiten von Suzanne großzügiger waren.
Oder vielleicht weniger gerissen?
Sie ging eine Stufe weiter. »He, es reicht jetzt mit dem super-schwermütigen Gelaber, okay?«
»Okay.«
»Und was holen wir jetzt für Mama?«
»Was du willst«, antwortete ich.
Ein Schatten flog vorbei.
»Ich habe mein Geschenk schon«, sagte sie bockig, »es geht hier um deins .«
»Klar doch, klar doch«, ich bemühte mich krampfhaft, den Satz ins Lächerliche zu ziehen, »aber gib mir etwas Zeit für die Suche ...«
War es so, heute vierzehn zu sein? Ein helles Köpfchen zu haben und klar zu erkennen, dass auf dieser Welt alles verhandelbar war, zugleich aber naiv und zärtlich genug zu sein, um zwei Erwachsenen die Hand zu geben und zwischen ihnen zu bleiben, genau zwischen ihnen, nicht mehr hopsend, sie aber nicht loszulassen, um sie trotz allem zusammen zuhalten.
Das war schon viel, oder?
Auch mit schönen Liedern dürfte das schwer wiegen.
Wie bin ich in ihrem Alter gewesen? Vollkommen unreif, denke ich mal.
Ich stolperte, als ich die obere Etage erreichte. Pah, ist nicht so wichtig. Nicht von Bedeutung. Überhaupt nicht.
Ich erinnere mich sowieso an nichts mehr.
Komm, Mäuschen, mir reicht’s jetzt schon, stellte ich fest, als ich mich am Geländer festhielt. Wir suchen, finden, lassen einpacken und hauen wieder ab.
Eine Handtasche. Noch eine, die fünfzehnte, vermute ich. »Wenn der Artikel nicht gefällt, kann die Frau Gemahlin ihn jederzeit umtauschen«, säuselte die Verkäuferin.
Ich weiß, ich weiß. Danke. Die Frau Gemahlin tauscht fast alles um. Und das ist auch der Grund, warum ich mir nicht mehr so viel Mühe gebe, verstehen Sie?
Ich schwieg jedoch und bezahlte stattdessen. Bezahlte.
Kaum waren wir aus dem Kaufhaus raus, löste sich Mathilde in Luft auf, und ich blieb wie bescheuert vor einem Zeitungskiosk stehen und las die fetten Schlagzeilen, ohne sie wahrzunehmen.
Hatte ich Hunger? Nein. Hatte ich Lust auf einen Spaziergang? Nein. Sollte ich mich nicht lieber ins Bett legen? Doch. Auf keinen Fall. Ich würde nie mehr aufstehen.
Sollte ich... Ein Typ rempelte mich an,um eine Zeitschrift aus dem Ständer zu fischen, und ich war es, der sich entschuldigte.
Allein und ohne Phantasie, angeschlagen mitten im Ameisenhaufen, hob ich den Arm, winkte einem Taxifahrer und nannte ihm meine Büroadresse.
Ich ging zur Arbeit, weil es das Einzige war, was ich noch konnte. Mir den Mist ansehen, den sie hier fabriziert hatten, während ich weg war, um den Mist zu kontrollieren, den sie dort fabriziert hatten. So in etwa sah mein Job seit ein paar Jahren aus. Große Risse, ein lächerliches Messer und viel Putz.
Der vielversprechende Architekt war, als er befördert wurde, zu einem kleinen Maurer geworden. Er stopfte auf Englisch Löcher, machte keine Entwürfe mehr, sammelte massenhaft miles und ließ sich von den leisen Kriegsgeräuschen auf CNN in Hotelbetten, die viel zu groß für ihn waren, in den Schlaf wiegen.
Der Himmel hatte sich zugezogen, ich drückte meine Stirn an die kühle Scheibe und verglich die Farbe der Seine mit der der Moskwa, auf meinen Knien ein sinnloses Geschenk.
War Gott da?
Schwer zu sagen.
2
Sie sind gekommen, alle sind da.
Wir werden sie in der Reihenfolge ihres Erscheinens vorstellen, das ist am einfachsten.
Der uns die Tür öffnet und zu Mathilde sagt: Mensch, bist du groß geworden, eine richtige Dame, das ist der Mann meiner älteren Schwester. Ich habe noch einen Schwager, aber den hier mag ich am liebsten. He, sag mal, hast du schon wieder ein paar Haare verloren, fügt er hinzu, während er mir die Haare zerzaust, hast du wenigstens diesmal an den Wodka gedacht? Was treibst du eigentlich bei den Ruskis? Tanzt du Kasatschok oder was?
Was habe ich gesagt? Der ist doch klasse, oder? Er ist perfekt. Okay, wir schieben ihn mal ein Stück beiseite, denn der sehr aufrechte Herr hinter ihm, der uns die Mäntel abnimmt, ist mein Papa, Henri Balanda. Er redet nicht so viel. Er hat es aufgegeben. Heute sagt er nur, dass ich Post bekommen habe, und zeigt auf die Konsole zu meiner Linken. Ich umarme ihn flüchtig. Die Post, die mich bei meinen
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