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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Arbeitete noch mehr. Wühlte in Laurence’ Sachen und entwendete Schlaftabletten. Dämmerte auf dem Canapé vor sich hin, ging ins Schlafzimmer, sobald die Gefahr einer drohenden Intimität vorüber war, ließ sich eine Art Bart stehen, der bei seinen beiden Mitbewohnerinnen zunächst Hänseleien auslöste, dann Drohungen und schließlich Gleichgültigkeit.
    War da. War nicht mehr dabei.
     
    Überspannte den Bogen fast, indem er andere hinters Licht führte, wenn auch nur ansatzweise. Gab sich konzentriert, sobald ihn jemand ansprach, und bat um präzisere Angaben, wenn sein Gesprächspartner längst außer Reichweite war.
    Hörte nicht, wie hinter seinem Rücken getuschelt wurde.
    Und verstand nicht, warum so viele Projekte ausgesetzt wurden. Die Wahlen, antwortete man ihm. Ach ja, die Wahlen.
    Löste heikle Situationen, sprach stundenlang am Telefon und in unendlichen Sitzungen mit Männern und Frauen, die ständig mit neuen Kürzeln und Begriffen um sich warfen. Kontrollbüros, Bürgerinitiativen, Koordinierungsstellen, Forschungsinstitute, technische Kontrolleure, Socotec, Veritas und hast du nicht gesehen, neue Artikel, die die BSV in Zusammenarbeit mit dem AVA bei Gebäuden der Kategorie F1 bis F3 vorsah. Ein Gewimmel an Handelskammern, größenwahnsinnigen Bürgermeistern, inkompetenten Stellvertretern,spinnerten Gesetzgebern, gereizten Unternehmern, Angst und Schrecken verbreitenden Diagnostikern und Referenten für alles und jedes.
    Eines Morgens rief ihm eine Stimme in Erinnerung, dass die aktuellen Baustellen pro Jahr 310 Millionen Tonnen Abfälle produzierten. Eines Abends unterbreitete ihm eine weniger aggressive Stimme hinsichtlich eines Vorhabens, das ein Fiasko zu werden drohte, endlich die Zahlen aus der Evaluierung der Schwachstellen der bereits existierenden Projekte.
    Er war am Ende, hörte nicht mehr zu, hatte die Worte aber auf einer Seite seines Notizbuchs vermerkt: Die Schwachstellen der bereits existierenden.
     
    »Schönes Wochenende!«
    Der junge Marc war gekommen, um sich mit einer großen Tasche über der Schulter von ihm zu verabschieden, und als der Boss nicht reagierte, fügte Marc hinzu: »Sagen Sie mal. Verbinden Sie mit diesem Wort noch was?«
    »Wie bitte?«, aus Höflichkeit fuhr er herum, auch um sich aus seiner Lethargie zu befreien.
    »Wochenende? Diese störenden zwei Tage am Ende der Woche ...«
     
    Charles rang sich ein müdes Lächeln ab. Er mochte diesen Jungen. Erkannte in ihm eigene Charakterzüge von früher ...
    Die etwas unbeholfene Hektik, seine unersättliche Neugier, das Bedürfnis, sich Vorbilder zu suchen und alles aus ihnen herauszuquetschen. Alles über sie zu lesen, absolut alles, die schwierigsten Dinge. Verworrene Theorien, unauffindbare Reden, Faksimiles von Entwürfen, ins Englische übersetzte Beiträge, in den Himmel gehoben, irgendwo veröffentlicht, die kein Mensch je verstanden hat. (An dieser Stelle dankte er beiläufig dem Himmel: Hätte er das Internet und dessen Versuchungen im selben Alter gehabt, es hätte alles kaputtgemacht).
    Und dann diese enorme Fähigkeit ranzuklotzen, seine vornehmeDiskretion, seine Schwierigkeiten mit dem Du, seine Selbstsicherheit, die nichts zu tun hatte mit dem Räuspern und dem Staub des Ehrgeizes, die ihn aber vermutlich glauben ließ, der Pritzker-Preis wäre eine anstrebenswerte Station im Leben, und sogar die dichte Mähne, die sich bald lichten würde ...
    »Und wohin wollen Sie so bepackt?«, herrschte er ihn an. »Ans Ende der Welt?«
    »So ungefähr. Aufs Land. Zu meinen Eltern ...«
    Charles hätte diesen Moment unerwarteter Offenheit gern ein wenig ausgedehnt. Ihn bedrängt, ihn zum Beispiel gefragt: »Ach? Auf welches Land?«, oder: »Ich hätte schon immer gern gewusst, in welchem Jahr Sie ...«, oder: »Was hat Sie eigentlich zu uns verschlagen?«, aber er war zu müde, leider, um sich an diesem Zündholz zu reiben. Doch als sich die brillante Bohnenstange zum Gehen anschickte, fiel sein Blick auf das Buch, das aus seiner Tasche herausschaute.
    Eine Originalausgabe von Koolhaas’ Delirious New York .
    »Immer noch in der holländischen Phase, wie ich sehe ...«
    Der andere fing an zu stammeln wie ein Kind, das man mit dem Finger in der Marmelade erwischt hat: »Ja, ich muss zugeben, ich – der Typ fasziniert mich – wirklich – und –«
    »Ich kann Sie gut verstehen! Mit diesem Buch ist er drüben bekannt geworden, hat sich Respekt verschafft, ohne auch nur ein einziges building verwirklicht zu

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