Alles Gold Der Erde
auch Norman und nahm kein Blatt vor den Mund. Als er in New Orleans gewesen war, hatte dieser Leutnant Loeser von der Überzahl der Männer in Kalifornien berichtet. Folglich befanden sich unter den Personen, die Tickets für die Falcon kauften, eine Anzahl der unternehmungslustigsten Frauenzimmer aus den öffentlichen Häusern. Eine besonders gewitzte Madame namens Blossom hatte mit Bedacht die vier reizvollsten Mädchen ihres Etablissements ausgewählt und mit auf die Reise genommen.
»Sie waren wirklich hübsch«, beteuerte Norman. »Und ganz und gar nicht dumm. Zwar nicht ganz so gewieft wie Blossom, aber sie wußten durchaus, wohin der Hase läuft.«
All diese Leute besaßen also Fahrscheine von New Orleans bis Chagres und dann bis San Francisco. Und sie waren auch entschlossen, ans Ziel zu kommen. Der Kapitän der Falcon warnte sie: Das Schiff hatte nur Kojen für fünfzig Personen, die bereits zur Hälfte belegt waren. Eine Überfüllung würde Unannehmlichkeiten mit sich bringen. Machte ihnen das etwas aus? Mitnichten. Schön, sagte der Kapitän. Eine Kajüte, die für eine Person gedacht war, konnte allemal auch zwei aufnehmen, und falls welche mit einer Hängematte oder den Schiffsplanken vorliebnehmen wollten … Auch damit waren sie einverstanden. Gut denn. Die Reise nach dem Isthmus würde neun oder zehn Tage dauern. Er, der Kapitän, würde sie hinbringen.
Und so verließ der kleine Dampfer Falcon, vollgepfropft mit fast zweihundert Menschen, New Orleans.
Marny stand auf, nahm das Kissen vom Stuhl, warf es auf den Fußboden und setzte sich darauf.
»Mir bleibt die Luft weg«, behauptete sie. »Vier Geistliche, ein General, diese feinen Damen … Mein Gott! Erzähl weiter.«
Norman und Rosabel fingen gleichzeitig zu reden an.
»Es war schrecklich«, sagte Norman.
»Es war komisch«, sagte Rosabel.
Norman fuhr in seinem Bericht fort:
»Der Kapitän konnte die bisherigen Passagiere nicht aus ihren Kajüten jagen. Also mußte er uns irgendwo anders unterbringen. Das heißt: Diese alten Passagiere hatten es weit gemütlicher als wir. Unglücklich fühlten sie sich aber dennoch. Das Essen war grauenhaft: Salzfleisch und Zwieback. Das Schiff war derart übervölkert, daß wir uns kaum bewegen konnten. Aber das war nicht das schlimmste. Das schlimmste war, daß diese anderen Leute so furchtbar ordentliche Menschen waren. Wir aber …« Er hob die Schultern und blickte wiederum Rosabel an, als suche er nach den richtigen Worten.
Rosabel zog ihre schwarzen Samtbrauen in die Höhe und spreizte ihre Hände. »Meine Lieben, der General hatte drei Diener bei sich, die ihn rasieren, seine Stiefel putzen und ihm aufwarten mußten. Und die Frau des Generals hat ihre Mädchen bei sich, so eine Art Zofe, wie sie wirklich elegante Damen haben; man sieht solche Geschöpfe auf der Bühne. Diese Offiziersdamen waren überhaupt gewöhnt, daß man sie respektierte. In Garnisonstädten treten alle Leute zur Seite, wenn sie daherkommen. Sie haben uns ganz bestimmt nicht gerade geliebt. Sie haben in einem Haufen beisammen gehockt und gestickt und so getan, als sähen sie uns gar nicht.«
Kendra kicherte in ihr Taschentuch. Sie mußte daran denken, wie man ihr befohlen hatte, diese weißen Häuser am Berghang von Valparaiso nicht wahrzunehmen. Sie mußte an Eva denken, die auf der Cynthia genäht und in San Francisco die Frau Gemahlin des Herrn Obersten gespielt hatte. Sie versuchte, sich ihre Mutter unter diesen buntscheckigen Reisenden auf der Falcon vorzustellen: Sie hätte gewiß ihre hübschen Näharbeiten fortgesetzt und die andern Leute einfach nicht zur Kenntnis genommen.
»Und diese Geistlichen!« rief Rosabel. »Es waren junge Männer, und sie haben gar nicht übel ausgesehen, aber sie waren nun mal fromm. Sie wollten unseren Lebenswandel bessern. Sie konnten es nicht fassen, daß wir uns wohl fühlten, so wie wir waren. Wir haben auf den Planken gehockt und Karten gespielt – um Geld natürlich, denn sonst macht's ja keinen Spaß –, und das haben sie für verrucht gehalten. Und wir haben auch sonntags gespielt, was ihnen noch weniger gefiel. Ich hatte mein Banjo bei mir, und wir haben Lieder gesungen. Diese Art von Liedern gefiel ihnen nicht. Was wir auch getan haben, sie hatten etwas daran auszusetzen.«
Kendras Blick traf sich mit dem von Marny. Beide bissen sich auf die Lippen. Beide hatten den Verdacht, daß Rosabel aus Respekt vor ihnen die Hauptsache verschwieg: Die Geistlichen nahmen wohl
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