Alles Gold Der Erde
aus Nuggets heraus und schob es gleichfalls in eine Tasche ihres Kleides. Der größte Teil ihres Schmuckes befand sich in den Safes von Chase & Fenway – wenn nur der Laden nicht auch brannte! Sie steckte einige Kämme ins Haar, damit es ihr nicht über die Augen fiel. Die Nacht war kalt. Mit einer Hand nahm sie den Kaschmirschal vom Haken, mit der andern schob sie den Türriegel zurück.
Mittlerweile war sie hellwach geworden. Sie besaß einen Schrank voller Kleider, aber Kleider waren nicht wichtig. Nicht einmal Goldstaub war nun sehr wichtig. Aber die Münzen! Münzen aus Philadelphia. Münzen waren wertvoller, sie brachten ja pro Monat zehn Prozent Zinsen ein. Im Flur waren die beiden Safes, und zwar zwei, weil Norman gesagt hatte: »Falls jemand den einen aufbricht, haben wir bloß die Hälfte verloren.«
Norman, der Schuhe und Hosen trug, kniete vor dem einen Safe. Neben ihm, auf dem Fußboden, brannte eine Kerze. Rosabel stand in einem Morgenmantel dabei. Selbst in diesem Moment fühlte Marny so etwas wie dankbare Bewunderung, weil Rosabel nicht weinte und schrie. Ihr Mund war vor Angst ganz schmal geworden, aber ihre Hände, die die Säckchen voller Münzen entgegennahmen, zitterten nicht. Marny hörte Schritte auf der Treppe und das Schreien des kleinen Zack, als Lolo mit ihm herabgestürmt kam, ohne sich darum zu kümmern, ob sie etwas retten konnte oder nicht.
Marny bemerkte, daß Normans Oberarme weich waren. In der Tat: Er war nicht etwa dick, aber sein Oberkörper wurde allmählich schlaff. Er war anders als Pocket und Hiram, die von der harten Arbeit muskulös geblieben waren. Was für ein närrisches Zeug! sagte sie sich gleich danach. Ausgerechnet jetzt an derartige Dinge zu denken! Doch sie bemerkte gleichzeitig auch alle sonstigen Vorgänge, als hätte die Furcht ihre Sinne geschärft.
Norman warf ihr einen Lederbeutel voll Münzen zu.
»Kannst du das tragen?«
»Natürlich«, versetzte sie und fragte sich gleich: Aber wie? Ein Lederbeutel würde ihr schon in der nächsten Minute entrissen werden. Also wickelte sie ihren Schal darum und klemmte das Bündel unter den Arm. Schreckensschreie waren jetzt überall zu vernehmen. Norman sagte scharf:
»Los! Raus jetzt!«
Er hatte recht. Es hatte keinen Sinn, noch mehr zu bergen. Marny flüchtete mit ihrem unhandlichen Bündel.
Sie rannte die Treppe hinab. Die Wand war bereits heiß. Das Feuer fraß sich näher heran. Die Treppe schien kein Ende nehmen zu wollen. Endlich gelangte sie unten an und drängte zur Tür des Ausschanks. Die Luft auf der Straße war rauchig und glühend – dennoch glaubte sie im ersten Augenblick, Kühle umfange sie. Die Flammen schlugen rings um sie hoch. So weit sie sehen konnte, sah sie Menschenmengen. Der Brand tobte. Ringsum war Geschrei. Sie hörte sich selber rufen: »Mein Gott, laß es doch regnen!«
Tausend Menschen schickten dasselbe Gebet zum Himmel. Es regnete jedoch nicht in dieser Nacht. Gnadenlos war der Regen auf sie herabgeprasselt, als sie ihn nicht brauchten; jetzt aber, da er ein Segen gewesen wäre, blieb er aus.
Marny boxte sich durch den Mob. Der Schlamm der Straße blieb an ihren Schuhen haften, als wolle er sie festhalten. Sie stampfte durch den Schlamm und durch das Menschengewimmel auf der Plaza. Die Nacht sei kalt, hatte sie geglaubt; vielleicht mochte es anderswo kalt sein, aber hier am Feuer war es entsetzlich heiß. Der Schweiß lief ihr über die Haut. Sie rannte weiter. Sie stöhnte und unterdrückte ein wütendes Schluchzen bei dem Gedanken daran, was sie alles verlor.
Nicht daran denken! redete sie sich ein. Vergiß, was du hinter dir läßt! Gib auf das acht, was du retten konntest. Dieser Sack voll Geld …
Dieser Sack in ihrem Schal wurde immer schwerer, obgleich sie gar nicht beurteilen konnte, wie schwer er denn nun tatsächlich sein mochte. Gib acht auf ihn! sagte sie sich immer wieder. Und gib auf dich selber acht! Geh vom Feuer weg! Im Donnern der Flammen hörte sie die Schritte Tausender. Es waren wirklich Tausende von Menschen. Woher, um alles in der Welt, kamen sie denn? Sie waren angezogen oder halb angezogen, sie schrien, sie rannten ohne Sinn und Verstand durcheinander. Marny umklammerte ihr Bündel und schaffte sich mit den Ellbogen Platz.
Eine Männerstimme rief ihren Namen. Eine rauhe Hand packte ihr Haar. Marny rief:
»Ich habe eine Pistole! Finger weg, sonst knallt es!«
Der Mann wich zurück. Marny hastete weiter. Eine Minute danach legte ein anderer eine
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