Alles Gold Der Erde
ausschüttete. Die Herren Chase und Fenway hatten mehrmals im Lager zu tun, nahmen aber kaum Notiz von ihr. Sie mußten Geld verdienen.
Jeder nicht abgebrannte Laden der Stadt machte heute große Geschäfte. Hunderte von Menschen besaßen – wie Marny – keine Kleider mehr. In geborgtem Zeug drängten sie sich in die Läden. Die Eigentümer von Herbergen – so ehrbare Herrschaften wie die vom St. Francis Hotel, aber auch die Besitzer der schmuddeligsten Pennen – baten um Feldbetten, Matratzen, Decken, um die Leute unterzubringen, die beim Brand alles verloren hatten außer ihrem Geld. Sie zahlten jeden Preis, um nicht im Schlamm nächtigen zu müssen. Die Restaurants brauchten Lebensmittel für ihre ausgehungerten Kunden sowie Teller, Messer und Löffel. Den ganzen Tag über waren die Angestellten auf dem Trab. Am Nachmittag ließ sich Marny von einem der Jungen eine Dose Keks und eine Büchse Sardinen bringen. Das war ihre zweite Mahlzeit an diesem Tag.
So geschäftig die Angestellten auch waren, reden wollten sie doch. Stück um Stück erfuhr Marny die Neuigkeiten. Viele Menschen waren in der Nacht verletzt worden. Manche hatten sich bei Stürzen weh getan, andere litten an Brandwunden, einige waren beim Niederreißen von Häusern durch Beilhiebe in Mitleidenschaft gezogen worden, nicht wenigen hatte – wie Loren – die Explosion übel mitgespielt. Sie hörte neue Berichte über Plünderungen und trostlose Geschichten über Männer, die ruhig dabeigestanden hatten. Hilfe hatten sie nur leisten wollen, wenn man sie dafür bezahlte.
Das letzte brennende Gebäude stürzte gegen Mittag ein. Am Spätnachmittag war das Feuer fast überall erloschen, obgleich hier und dort Flämmchen unter der Asche glommen. Die Besitzer der zerstörten Bauten gossen Wasser auf diese letzten Flammen, um so rasch wie möglich mit dem Neubau anfangen zu können. Foxy hatte Norman gesehen. »In die Ruinen des Calico-Palastes hat er Wasser geschüttet«, berichtete Foxy. »Zusammen mit Rosabel, den Schwarzbärten, den beiden Mädchen aus Hawaii und dem kleinen Jungen haust er in zwei Zimmern des St. Francis. Das Hotel hat seinen Nutzen aus der Katastrophe gezogen. Die Preise sind jetzt doppelt so hoch. Aber was läßt sich dagegen tun? Ich habe Norman gesagt, wo Sie sind. Er wird Sie morgen besuchen. Sie müßten über einen neuen Calico-Palast sprechen.«
Marny erklärte: »Ich werde mir das Trümmergrundstück gern selber einmal ansehen.« Aber Foxy rief erschreckt: »Das dürfen Sie nicht. Sie können sich ja gar nicht vorstellen, was für ein verrücktes Gesindel sich auf der Plaza herumtreibt. Alle Plünderer haben sich dort versammelt, um festzustellen, ob es nicht noch etwas zum Klauen gibt. Und die Hälfte dieser Kerle ist besoffen. Eine Dame unter solchem Pack? Nein. Sie dürfen sich wirklich nicht auf der Straße blicken lassen, es sei denn, ein energischer Mann beschützt Sie.«
Am Morgen erkannte Marny, wie klug Foxys Rat gewesen war. Da sie vorerst in Mr. Fenways Zimmer bleiben mußte, hatte sie beschlossen, sich die Zeit mit der Anfertigung von Kleidern zu vertreiben. Heute war Weihnachten; da man aber soviel Geld machen konnte, hatten nur wenige Läden geschlossen, Chase und Fenway arbeiteten wie an Werktagen. Marny begab sich in die Verkaufsräume, um Stoff und Nähmaterial zu besorgen.
Sofort war sie umringt. Diese Männer gehörten zwar nicht zum Gesindel, sondern sie waren Kunden, und viele erkannte sie auch als Gäste ihres Saloons. Normalerweise benahmen sie sich anständig. Aber sie waren Männer, und sie wollten sie – eine Frau – wieder unter sich haben. Sie faßten sie an, sie versuchten, sie zu umarmen, sie griffen ihr ins Haar. Einer dieser Kavaliere brachte eine Schere zum Vorschein und schnippelte ihr eine Locke ab, die er in die Höhe hielt: »Ich werde sie in ein goldenes Etui legen und sie auf dem Herzen tragen.« Tausend Fragen schwirrten auf Marny los. Wann fing der Calico-Palast wieder an? Spielte sie mittlerweile woanders? Vielleicht konnte sie auf der Stelle hier ein Spielchen mit ihnen machen? Sie würden einen Tisch herbeischaffen oder eine umgedrehte Kiste. Hatte sie keine Lust?
Dieser Wirrwarr dauerte nur ein paar Minuten; hätte er länger angehalten dann wäre Marnys Kleid (vielmehr das von Kendra) in Fetzen gerissen worden. Schon platzten beide Ärmel an den Schultern auf, auch ein Knopf sprang ab. Bevor sie jedoch weiteres Malheur anrichten konnten, warf Mr. Chase seine
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