Alles Gold Der Erde
eine Tür, und draußen finden Sie den Brunnen. Holen Sie sich nur soviel Wasser, wie Sie brauchen.« Er nahm einen andern Schlüssel von seinem Bund. »Mit dem können Sie die Hintertür aufschließen. Aber schließen Sie auch jedesmal wieder zu, und schieben Sie den Riegel vor. Heutzutage kann man niemandem über den Weg trauen.« Er seufzte schwer. »Nun, ich gehe jetzt besser wieder auf meinen Posten, damit nicht ein paar dieser Schurken aus Sydney hier eindringen.«
Marny bedankte sich noch einmal. Mr. Fenway machte sich nicht die Mühe einer Antwort. Mit einem vergrämten Blick drehte er sich um und watschelte die Treppe hinunter. Marny ging in das Zimmer und verschloß die Tür.
Es war ein kleines Schlafzimmer mit Tisch, Waschbecken und Spiegel. Im düsteren Licht dieses Dezembermorgens sah alles nett und sauber aus. Marny trat zum Fenster und schaute hinaus.
Das Feuer wütete nicht mehr so wie vor einer Stunde, aber es brannte immer noch. Rauchwolken hingen über der Kearny Street, hin und wieder glühte es feurig auf. Eine dieser Rauchwolken senkte sich allmählich auf die Stelle nieder, wo bis gestern der Calico-Palast gestanden hatte.
Marny setzte sich aufs Bett. Sie betrachtete ihre Hände, die rußgeschwärzt waren. Im Spiegel sah sie ihr schwarzes Gesicht, ihr von Asche bedecktes Haar. Sie fühlte sich abscheulich verdreckt, aber so müde und so zerschlagen, daß sie nicht die Kraft aufbrachte, sich zu waschen. Plötzlich konnte sie ihre Miene nicht länger mehr beherrschen. Niemand beobachtete sie. Niemand scherte sich darum, was sie tat. Marny fiel über das Bett, drückte ihr Gesicht in Mr. Fenways Laken und wimmerte wie ein krankes Kind.
49
Marny weinte, und das Weinen löste ihre innere Verkrampfung. Als die Tränen versiegt waren, trocknete sie ihre Augen mit dem Ärmel des Kleides und fühlte sich ein wenig wohler. Sie stand auf und trat vor den Spiegel.
»Ich sehe schrecklich aus«, sagte sie laut.
Sie sah in der Tat schrecklich aus. Die Tränen hatten Spuren in ihrem verschmutzten Gesicht hinterlassen. Die Kämme, mit denen sie ihr Haar befestigt hatte, waren längst herabgefallen. Sie strich ihre wirren roten Strähnen zurück, doch fielen sie ihr sogleich wieder in die Stirn. Jetzt war sie schon eher imstande, sich zu waschen. Es würde allerdings eine fürchterliche Arbeit sein.
Zunächst goß sie Wasser in das Becken. Dann zog sie Kleid und Nachthemd aus. Um sich einen Waschlappen zu verschaffen, riß sie ein Stück aus dem Nachthemd. Ein Handtuch hing an einem Nagel, und die Seife fand sie in einer Konservenbüchse, wo Mr. Fenway sie vor den Ratten versteckt hatte. Nun begann sie ihr Gesicht zu schrubben.
Es war indessen gar nicht leicht, Ruß nur mit Wasser und Seife zu entfernen. Sie brauchte Petroleum. Im Laden wurde Petroleum verkauft, aber Marny fragte sich, ob sie den Mut aufbringen könne, das dreckige Kleid noch einmal überzustreifen, um mit struppeligem Haar und schmutzigen nackten Füßen hinabzugehen und Petroleum zu kaufen. Doch da hörte sie ein Pochen an der Tür.
»Ich bin's, Pocket.«
Mit einem Freudenschrei zog Marny das Kleid an und öffnete die Tür. In der einen Hand trug Pocket einen Teller, in der andern einen Zinnbecher, und unter den Arm hatte er eine Flasche Rotwein geklemmt. Mit seinem freundlichen Klein-Jungen-Lächeln meinte er:
»Ich habe mir gedacht, Sie hätten vielleicht eine Erfrischung nötig, Ma'am.«
Er machte keine Bemerkung über ihr Aussehen. Falls er erriet, daß sie geweint hatte, so ließ er es sich nicht anmerken. Erst jetzt merkte Marny, daß sie hungrig war. Ihr Essen bei Kendra – das war gestern gewesen – schien sehr lange Zeit zurückzuliegen.
»Noch nie habe ich mich so über einen Menschen gefreut wie jetzt«, sagte sie, und es war ihr ernst damit. »Was bringen Sie mir denn Gutes?«
Pocket stellte den Teller auf den kleinen Tisch neben dem Bett und holte einen Hornlöffel aus einer seiner Taschen.
»Bloß kalte Bohnen«, entschuldigte er sich. »Etwas Besseres konnte ich nicht auftreiben. Es ist so viel gestohlen worden, daß die Leute kaum etwas zum Essen finden.« Er schenkte Wein in den Becher und reichte ihn ihr. »Hier, trinken Sie das. Es wird Sie wieder auf die Beine bringen.«
Marny dankte ihm von Herzen. Es überraschte sie, daß Pocket, der selbst niemals trank, stets bestrebt war, andere Menschen mit Trinkbarem zu versorgen. »Wie geht es Loren?« fragte sie.
»Er ist in guten Händen. Der Blutverlust
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