Alles Gold Der Erde
mit seinem verführerischen Lächeln an, das sie jedesmal so glücklich werden ließ. Als sie an ihm vorbei in den Flur gehen wollte, streifte ihr Arm den seinen.
Ohne es eigentlich zu wollen, blieb Kendra bei ihm stehen. Ted blickte sie so zärtlich an wie in der letzten Nacht beim Tanz. Kendra rührte sich nicht. Sie konnte es gar nicht. Es war, als sei sie in einem Netz gefangen. Langsam hob Ted eine Hand und streichelte ihr Haar. Mit leiser Stimme murmelte er:
»Sie sind so schön.«
Einen Moment standen sie starr da. Dann geschah es. Teds knochige Hände griffen nach ihren Schultern. Er zog sie an sich. Kendra fühlte, wie sie vor Wonne schwach wurde. Ihre Lider kitzelten seine Wange. Ihre Lippen fanden sich. Doch in dieser Sekunde sprang Ted mit einer jähen Bewegung zurück, und er stieß die Worte mühsam heraus, als bereiteten sie ihm Schmerz:
»Mein Gott, was mache ich!«
Er schob sie so grob von sich, daß sie taumelte und am Tisch Halt suchen mußte, um nicht zu fallen. Er stürmte davon. Sie hörte seine Schritte im Flur und auf der Veranda und schließlich auf der Treppe.
Kendra war sich kaum bewußt, daß sie ihm in den Flur gefolgt war. Sie war wie benommen. Sie empfand einen brennenden Schmerz. In seiner Eile, das Haus zu verlassen, hatte Ted die Tür offenstehen lassen, und Kendra sah, wie er sich auf sein Pferd schwang und den Berg hinabjagte. Er warf keinen Blick zurück. Sie hörte das Surren des Windes und sah den Nebel vor der Haustür in Wellen vorbeitreiben, als wäre er Wasser. In der Nähe schrien ein paar kleine Buben fröhlich auf, die aus Hölzern und Erdklumpen eine Festung bauten. Ein mexikanischer Holzhacker kam den Berg herauf mit Brennholz, das er verkaufen wollte. Ein Fuhrwerk ächzte unter der Last seiner Fässer mit Frischwasser von der Quelle in Sausalito. In einer Minute würde der Fahrer halten, um seine regelmäßige Lieferung abzugeben, und Eva oder Mrs. Riggs würden ihn einlassen.
Während Kendra noch immer außerstande war, einen klaren Gedanken zu fassen, sagte ein Instinkt ihr doch, daß die beiden sie jetzt besser nicht sahen. Unsicher ging sie in ihr Schlafzimmer. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, fielen ihr die Verse des Liedchens von gestern abend ein:
»Die Liebe ist eine Libelle,
Heute da und morgen dort …«
›Ach Ted!‹ schrie es in ihr. ›Hast du es nur so gemeint?‹
Die Wolken wichen den ganzen Tag nicht, dennoch fiel kein Regen. Kendra kochte den Lachs, aber sie vermochte nur wenig davon zu essen. Auf Evas Frage, weshalb sie keinen Appetit habe, entgegnete Kendra, sie sei wohl noch etwas müde, weil sie wegen des Tanzfestes so lange aufgeblieben war. Das Wort ›Tanz‹ erstickte sie fast. In der Nacht fühlte sie sich elend. Ruhelos wälzte sie sich von einer Seite auf die andere, schlief ein, erwachte jäh wieder, döste abermals – und mußte immerzu an Ted denken.
Wollte er sie, oder wollte er sie nicht? Sie war so sicher gewesen! Kendra wußte, daß es Männer gab, die sich einen Spaß daraus machten, die Liebe eines Mädchens zu gewinnen und es dann von sich zu stoßen. Aber Teds Lächeln und sein warmer Blick, seine zärtliche Stimme – sollte das alles nicht ehrlich gewesen sein? Aber dann wäre sie ja schlimmer hinters Licht geführt worden als je ein Mädchen zuvor! Und dieser Beinahe-Kuß, sein plötzliches Erschrecken, als er sie weggeschoben hatte … Was hatte das alles zu bedeuten?
In dieser Angelegenheit konnte sich Kendra ebensowenig wie in jeder andern mit Halbheiten zufriedengeben. Wenn sie etwas wollte, dann wollte sie es eben. Und sie wollte Ted. Wenn sie ihn nicht bekommen konnte, dann mußte sie wenigstens den Grund wissen. Sie würde ihn unverblümt fragen: »Lieben Sie mich oder lieben Sie mich nicht?«
Und jede Antwort würde besser sein als die Ungewißheit.
Am nächsten Morgen regnete es zum Glück immer noch nicht. Kendra wusch ihre Augen wieder und wieder mit kaltem Wasser, denn falls sie nicht gut aussah, ließ ihre Mutter sie vielleicht nicht fort. Beim Frühstück meinte sie, das Wetter sei so bedrohlich, daß sie es für richtig halte, beizeiten einzukaufen. Eva war auch dieser Ansicht.
Ted war weder im Laden noch im Lagerraum. Mr. Fenway, der mit ein paar Männern am Ofen gestanden hatte, schlenderte herbei und begrüßte die Damen. Dann spazierte er zur Bürotür, steckte seinen Kopf ins Zimmer und gab die Ankunft von Mrs. Taine und ihrer Tochter bekannt. Alsbald erschien Mr. Chase,
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