Alles Gold Der Erde
besitze ich vier Grundstücke, welche mir hohe Mieten einbringen. Überdies habe ich eine ansehnliche Summe Bargeld gespart.
Ich darf mir wohl die Freiheit nehmen, Ihnen, Miß Rosabel, mein Herz, meine Hand und mein Vermögen zu Füßen zu legen.
Mit vorzüglicher Hochachtung Silas Fenway«
Kendra sah auf. Rosabel stand wartend mit leuchtenden Augen und offenen Lippen da. »Ist das denn nicht der schönste Brief, den Sie je gelesen haben?« fragte sie tief beeindruckt.
Kendra spürte ein Würgen im Hals. »Er meint es mit jedem Wort ernst«, antwortete sie dann. »Haben Sie ihm schon geschrieben?«
Rosabel schüttelte den Kopf. »Ich … ich weiß nicht, ob ich das fertigbringe«, gestand sie. »Ich meine, ich fürchte mich ein bißchen davor. Was er schreibt, hört sich so gebildet an. Ich bin nicht so gebildet.«
»Laden Sie ihn doch zu einem Besuch ein. Dann können Sie seinem Antrag zustimmen.«
»O nein!« rief Rosabel. »Er hat mir doch geschrieben. Also muß auch ich ihm schreiben.«
Sie sprach voller Überzeugung, gleichzeitig fürchtete sie sich vor dieser Aufgabe. Kendra verstand, weshalb sie ihr den Brief gezeigt hatte. »Soll ich Ihnen helfen, Rosabel?«
Rosabels Antwort war rührend. »Ach, Kendra! Wollen Sie das wirklich tun?«
»Aber gern. Heute abend nach dem Essen werden wir den Brief schreiben. Dwight kann ihn dann morgen bei Mr. Fenway abgeben.«
»Ach, wie nett Sie sind! Ich möchte ja so gern einen schönen Brief aufsetzen. Aber ich kann's nicht, ich kann's einfach nicht.«
»Niemand kann alles«, meinte Kendra. »Ich würde zum Beispiel gern so gut Klavier spielen können wie Sie. Ich kann bloß auf die Tasten drücken. Sie haben wirklich Begabung.«
»Das hat mir auch Silas schon gesagt«, gab Rosabel zu. Sie schien glücklich zu sein.
Am Abend entwarf Kendra das Antwortschreiben. Es fiel blumiger aus, als ihr selbst lieb war, aber Rosabel bestand auf seltsamen Redensarten, also fügte sich Kendra. Alsdann schrieb Rosabel den Entwurf langsam und unbeholfen ab, und am Morgen steckte ihn Dwight ein. Sie hatten ihm nicht gesagt, was darin stand. Er vermutete, es handle sich um eine Warenbestellung.
Etwa zwei Stunden später erschien Mr. Fenway im Hotel. Kendra und Rosabel bereiteten in der Küche das Mittagessen zu, als sie ein Pochen an der eisernen Tür vernahmen. Rosabel fuhr zusammen. Dann lächelte sie, als wisse sie bereits, wer der Besucher sei. Kendra öffnete die Tür. Auf der Schwelle stand Mr. Fenway, noch sorgfältiger gekleidet als sonst. Er hatte eine schwarze Seidenkrawatte um den Hals geschlungen, und in der Hand hielt er einen hohen Biberhut. Mr. Fenway verneigte sich tief.
»Guten Morgen, Madame. Man hat mir gesagt, hier könne ich Miß Rosabel antreffen.«
Bevor Kendra antworten konnte, rief hinter ihr Rosabel:
»Hier bin ich, Silas!«
Ein Lächeln erhellte das lange schmale Gesicht des Mr. Fenway. Er verneigte sich nun vor Rosabel, trat über die Schwelle und wandte sich Kendra zu. »Ich nehme an, Miß Rosabel hat Ihnen erzählt, daß sie mich zum glücklichsten aller Männer macht.«
»Ja«, entgegnete Kendra, »und ich freue mich für Sie beide.«
Mr. Fenway dankte ihr ernst. Er sei gekommen, um sich zu erkundigen, ob Miß Rosabel mit ihm ausgehen wolle. Sie müßten über mancherlei Angelegenheiten sprechen. Rosabel fragte Kendra, ob sie wohl das Mittagessen allein vorbereiten könne. Dann stürzte sie davon, um Hut und Schal zu holen.
Marny hörte sich die Neuigkeit an, als sie gerade Patiencen legte. Vor Staunen blieb ihr der Mund offenstehen. »Mögen uns die Engel und alle guten Heiligen beistehen«, murmelte sie.
»Sie möchte ihn tatsächlich heiraten, Marny«, sagte Kendra nachdenklich.
Marny überlegte. Dann nickte sie langsam. »Ja, ich verstehe. Sie hat die Nase voll. Sie will nicht mehr länger herumgestoßen werden. Er ist wohlhabend und kann ihr etwas bieten. Aber Mr. Fenway – weshalb will denn er ausgerechnet Rosabel heiraten?«
»Er behauptet, sie erinnere ihn an seine Mutter.«
Marny legte ihre Karten aus der Hand. Mit ihren grünen Augen starrte sie Kendra lange an. Schließlich brach sie in ein Lachen aus. »Kendra, dieser Goldrausch hier ist das Verrückteste, was ich jemals gesehen habe.« Erst am Nachmittag sahen sie Rosabel wieder. Sie kam in Eile. Sie wollte bloß ein schöneres Kleid anziehen. »Mr. Fenway wird mich zum Abendessen ins Restaurant Delmonico führen«, sagte sie. »Dann wollen wir das Olympic Amphitheater in
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