Alles Gold Der Erde
Die Cynthia verrottete, Marny aber prunkte in dieser Weise. Pollock würde ihr niemals verzeihen.
Die Zeremonie war kurz und schlicht. Hinterher gab es eine kleine Gesellschaft in Delmonicos Restaurant. Rosabel war heiter, und Mr. Fenway legte eine bemerkenswerte Freude an den Tag, als er die Gläser mit Champagner füllte.
Später brachte eine Kutsche das junge Paar zu seinem Heim in Happy Valley. Kendra zweifelte nicht daran, daß sie weder ihn noch sie je wieder im Calico-Palast sehen würde.
55
Da Marny früher als gewöhnlich hatte aufstehen müssen, um an der Trauung teilnehmen zu können, wurde sie gegen Mitternacht schläfrig. Anstatt bis zwei Uhr wie üblich zu spielen, überließ sie schon jetzt ihren Tisch dem Mann aus Boston. Die Spieler protestierten. Da sie nicht daran gewöhnt sei, so früh ins Bett zu gehen, werde sie doch nicht schlafen können, argumentierten sie. Marny entgegnete, sie werde noch etwas trinken.
An der Bar nahm sie sich eine Flasche und ein Glas und wollte das Kämmerchen aufsuchen, das sie als Schlafraum benutzte, solange die oberen Etagen noch nicht fertig waren. In Kendras Zimmer sah sie Licht brennen und klopfte. Kendra saß auf dem Rand ihres Feldbettes und nähte so ungeschickt wie immer einen Knopf an. »Komm mit mir«, lud Marny sie ein. »Wir wollen nachsehen, ob die Tür an der Rückfront verschlossen ist.«
Kendra war froh, ihre Näherei im Stich lassen zu können, und griff nach ihrer Kerze. Gemeinsam gingen sie die Hintertreppe hinab. Die Tür am Fuß der Treppe war verschlossen und verriegelt, wenngleich die eisernen Innentüren noch nicht vorgeschoben waren. In diesem engen Winkel zwischen der Treppe und der Tür war es fast ruhig, denn zu dieser Stunde aßen die Musiker. Mit einem dankbaren Seufzer setzte sich Marny auf eine Stufe und goß sich einen Drink ein.
»Willst du auch einen?« fragte sie Kendra.
»Nein, danke, ich fühle mich ganz wohl.«
»Ich fühle mich auch ganz wohl«, erwiderte Marny, »aber ich finde es großartig, daß man aus Weintrauben und Korn solch herrliche Getränke machen kann.«
Ein paar Kisten waren in einer Ecke aufeinandergestapelt. Kendra stellte ihren Kerzenhalter darauf und ließ sich neben Marny auf der Stufe nieder. Eine Weile schlürfte Marny mit Behagen. Kendra wollte gerade eine Bemerkung über die Hochzeit machen, als sie sah, daß Marny zusammenzuckte. »Was ist?« fragte sie.
»Ich habe etwas gehört.«
Auch Kendra lauschte nun. Sie vernahm ebenfalls einen Laut, ein leises Winseln. »Das ist ein Tier«, meinte Kendra. »Sehen wir mal nach.«
Sie ging zur Tür, schob den Riegel zurück und schloß auf. Etwas Weißes schnellte an ihr vorbei und verschwand hinter der Treppe. In diesem dunklen Versteck ertönte das Winseln nun von neuem. Marny nahm die Kerze und folgte dem Laut. »Es ist ein Kätzchen, Kendra«, rief sie, »ein verängstigtes Kätzchen.«
Beide blickten in die finstere Ecke. Es schien, als fürchte sich das Kätzchen vor dem Lärm und den Lichtern der Plaza. Vielleicht hatte ein Bursche, der von einer Bar gewankt kam, ihm einen Fußtritt versetzt, so daß es gegen die Tür geflogen war. Die Tür war in die Mauer eingelassen, und in diesem dunklen Winkel hatte es wenigstens Schutz vor der feindlichen Welt gefunden.
Weder Kendra noch Marny hatten bislang ein besonderes Interesse an Katzen gehabt. Aber der Anblick dieses hilflosen Geschöpfes, das hungrig war, während sie satt zu essen hatten, bewegte sie.
»Haben wir irgendwo Milch?« fragte Marny.
Milch gehörte zu den teuersten Dingen in San Francisco, aber Marny war viel zu gerührt, um daran zu denken. Kendra ging in die Küche hinauf. Sie goß ein wenig Milch in eine Schale und stellte sie auf eine Treppenstufe. »Na komm schon«, forderte sie das bebende Tierchen auf. Doch zunächst war das Kätzchen immer noch viel zu verängstigt, um sich zu bewegen. Milch bedeutete indessen Nahrung, und das Kätzchen zitterte vor Hunger. Marny und Kendra traten zurück und verhielten sich ruhig. Nach einigen Minuten konnte das Kätzchen nicht länger widerstehen. Langsam schlich es auf die Schale zu. Dann steckte es seine rosa Zunge heraus und leckte an der Milch. Im Nu war die Schale leer.
»Wir können es nicht hier lassen«, sagte Kendra. »Wenn die Schwarzbärte morgen früh die Tür aufmachen, wird das Kätzchen zerquetscht. Wir nehmen es mit hinauf.«
»Gut«, entgegnete Marny. »Ich lasse von einem der Jungen ein bißchen Sand in eine Kiste
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