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Alles Gold Der Erde

Titel: Alles Gold Der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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füllen.«
    Sie bückte sich, um das Kätzchen aufzuheben. Dies war nicht einfach, denn noch immer zitterte das Tierchen vor Angst. Da es jedoch nicht fliehen konnte, gelang es Marny schließlich, das Kätzchen in die Hände zu bekommen. Mitleidig rief sie aus:
    »O Kendra, was für ein armes kleines Ding! So was Dünnes hab' ich noch nie in den Fingern gehabt.«
    Auch Kendra fühlte Erbarmen. Ein Ei, so überlegte sie, wäre wohl das Beste für ihren Findling, doch Eier waren noch teurer als Milch. »Könnten wir ein Ei entbehren, Marny? Ich werde es bezahlen.«
    »Das Ei geht auf Rechnung des Hauses.«
    Kendra schlug das Ei in eine zweite Schale voll kostbarer Milch. Mit einemmal erkannte sie, daß ihr Mitgefühl nicht allein Erbarmen war. Sie hatte Liebe empfunden. Sie hatte sich nach jemandem gesehnt, den sie lieben konnte. Jetzt hatte sie jemanden. Ein verlassenes Kätzchen, das in Not war. Das Kätzchen brauchte sie, und sie brauchte das Kätzchen. Sie würde es behalten.
    Als sie das Tier bei Tageslicht sahen, erschraken sie über dessen mitleiderregende Häßlichkeit. Sein Fell war an manchen Stellen ausgefallen, als hätten die Motten daran geknabbert. In seinem jungen Leben mußte es wenig mehr als Mißhandlungen erfahren haben, denn noch Tage später merkten Kendra und Marny, daß sich das Kätzchen ängstlich vor ihnen verkriechen wollte, selbst dann, wenn sie ihm zu fressen gaben. Norman zeigte sich nicht begeistert. »Wenn es wenigstens eine große Schiffskatze wäre, die Jagd auf die Ratten machen könnte …«
    »Ich will dieses Kätzchen behalten«, erklärte Kendra, »und ich werde es auch behalten. Wenn es hier nicht geduldet wird, dann werde ich in einem anderen Restaurant meine Kuchen backen. Sie werden froh sein, mich zu bekommen.«
    Das Kätzchen blieb. Und nach einigen Wochen guter Kost und guter Behandlung hatte sich die häßliche kleine Streunerin zu einer Schönheit gemausert. Das Fell war jetzt dicht und weiß mit schwarzen Flecken, die an Tinte denken ließen. Die Augen leuchteten grün. Einer der Stammgäste war ein Veterinärarzt namens Dr. Wardlaw. Als er wieder einmal auftauchte, bat Marny ihn, die Katze zu untersuchen. Nach dieser medizinischen Begutachtung teilte Marny ihrer Freundin mit: »Unsere Katze ist ein Mädchen.«
    Dann beratschlagten sie wegen eines passenden Namens. Marny schlug Geraldine vor. »Das hat den richtigen Klang. Es erinnert mich an etwas. Geraldine. Geraldine. Doch, das paßt.« Plötzlich fiel es ihr ein: »Kannst du dich noch an das gespenstische Gedicht von Coleridge entsinnen? Geraldine, das schöne verwahrloste Kind, das geheimnisvoll aus dem Dunkel kommt?«
    »Nein, ich kann mich nicht entsinnen«, antwortete Kendra lachend. »Was passiert in dem Gedicht?«
    »Nun, die Dame Christabel öffnet um Mitternacht das Schloßportal, um die schöne Geraldine hereinzulassen, und dann merkt sie erst, daß Geraldine ja eine Hexe ist.«
    Kendra drückte das Kätzchen in ihren Schoß. »Glaubst du etwa, dieses unschuldige Flaumbällchen hier sieht wie eine Hexe aus?«
    »Die Geraldine in dem Gedicht hat auch nicht wie eine Hexe ausgesehen. Sie war schön. Unser Kätzchen ist ebenfalls schön. Unser Kätzchen ist um Mitternacht geheimnisvoll aus der Finsternis gekommen. Es hat um Hilfe gefleht wie Geraldine. Du hast die Tür aufgemacht.«
    »Was wird aus der Geraldine in dem Gedicht?«
    »Das weiß kein Mensch«, versetzte Marny, »denn Coleridge hat es nie beendet.«
    »Und wir wissen auch nicht, was aus unserem Kätzchen wird«, meinte Kendra. »Ebensowenig wissen wir, was aus uns selber wird. Gut. Ich finde den Namen auch passend.«
    Norman war in miesepetriger Stimmung. Marny kannte die Ursache: Rosabel fehlte ihm. Er vermißte sie, weil sie eine gute Gefährtin gewesen war, und er vermißte sie auch deshalb, weil sie jene Kunden angezogen hatte, die er bons garçons nannte, denn sie ließen viel Geld da. Sowohl im Ausschank als auch in Marnys Spielsalon gab es talentierte Musikanten; sie waren jedoch alle Männer. Die bon garçons fragten Norman in einem fort, wann er denn endlich wieder ein Mädchen wie Rosabel ans Klavier setzen werde. Ein Mädchen, das Rosabels Talent und auch noch deren Charme besaß, war aber kaum irgendwo aufzutreiben. Normans Hoffnung, einen geeigneten Ersatz zu finden, schwand allmählich. Er wußte, er war selber daran schuld, daß sie ihn verlassen hatte – eine Erkenntnis, die seine Laune kaum zu bessern vermochte.
    Hin und wieder

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