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Alles Gold Der Erde

Titel: Alles Gold Der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gwen Bristow
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Mädchen manchmal Scherereien bekämen, aber sie hatte nicht geglaubt, daß sie allesamt vor Gram zugrunde gingen, wie es in erbaulichen Büchern geschrieben stand. Sie erinnerte sich der Bilder, die solche Geschichten illustrierten: Ein Mädchen schlich im nächtlichen Schneetreiben davon, nachdem der grimmige Vater es aus dem Hause gejagt hatte. Auf derartigen Bildern pflegte es unentwegt zu schneien.
    Aber da war nun diese Marny. Hatte ein unerbittlicher Vater, hatte eine selbstgerechte Familie sie auf ähnliche Weise vor die Tür gesetzt?
    Marny und Ted schlürften Brandy. Dann kauerte sich Marny ins Gras. Auch Pocket, der eine Zeitlang den Horizont gemustert hatte, fand sich wieder ein und musterte nun mit Interesse Marny. »Woher kommen Sie eigentlich, Ma'am?« erkundigte er sich.
    »Aus Philadelphia.«
    »Warum sind Sie von dort weggegangen?«
    Kendra zuckte innerlich zusammen. Mußte er das fragen? Konnte er sich nicht vorstellen, daß ein Mädchen wie Marny keine Lust hatte, über ihre Vergangenheit zu plaudern? Kendra blickte Ted an, aber der wartete offenbar auch auf Marnys Antwort. Marny selbst bedachte Pocket mit einem spitzbübischen Zwinkern, als sie ihrerseits fragte:
    »Waren Sie jemals an einem Sonntag in Philadelphia?«
    »Nein, Ma'am. Was geschieht denn sonntags in Philadelphia?«
    »Nichts«, versetzte Marny. »Ich meine: gar nichts, überhaupt nichts. Die Leute bleiben zu Hause und lesen gute Bücher.«
    Ted ließ sich an ihrer Seite nieder. »Haben Sie aus diesem Grund so viel gelernt?«
    »Warum laßt ihr sie nicht in Ruhe?« mischte sich Kendra ein.
    Die beiden Männer drehten sich verdutzt um. Kendra sprach schnell weiter: »Versteht ihr denn nicht? Das geht euch doch nichts an! Vielleicht will Marny euch nichts über sich erzählen. Marny … nun, Marny hat eine gute Erziehung genossen.«
    Sie brach jäh ab. Ted und Pocket hatten ihr mit ernstem und schuldbewußtem Gesicht zugehört, als sähen sie erst jetzt ein, daß sie sich wirklich zu sehr um Marnys Angelegenheiten kümmerten.
    Aber Marny begann zu lachen. Sie lachte so ausgelassen, daß der Brandy in ihrer Tasse fast überschwappte. Mit ihrer freien Hand drückte sie Kendras Arm.
    »Kendra, Sie sind ein Schatz. Setzten Sie sich doch.« Sie zog Kendra ins Gras, und nun hockte sich auch Pocket zu ihnen. Marny fuhr fort:
    »Als Sie noch in Baltimore waren, Kendra, haben Sie doch gewiß auch Leute gekannt, die mitleidig den Kopf schüttelten und tuschelten: In jeder Familie gibt es halt so einen.«
    Kendra runzelte die Stirn.
    »Einen, den die Leute nie erwähnen«, half ihr Marny auf die Sprünge.
    Ja, Kendra hatte diese Redensart zuweilen vernommen; sie wurde meist geflüstert. (»Und der jüngere Bruder? Was macht der jetzt?« – »Pst! Man spricht niemals von ihm.«) Kendra nickte also, und Marny schaute belustigt die Männer an.
    »Ihr lieben Leute, in meiner Familie gab es auch jemanden, der von taktvollen Besuchern nie beim Namen genannt wurde. Und das war ich.«
    Alle lauschten gespannt. Mit einem übermütigen Glitzern ihrer Augen fragte Marny:
    »Soll ich euch die Geschichte meines mißratenen Lebens erzählen?«
    »Ja, Ma'am«, rief Pocket. »Bitte, tun Sie das.«
    Marny lachte sanft.
    »Meine Lieben, in den Außenbezirken von Philadelphia gibt es eine Institution, die Landreth-Universität heißt. Eine äußerst noble Einrichtung. Mit Efeu bewachsene Türme. Schöne alte Bäume. Spazierwege durch Rasen und zwischen Hecken. Mein Vater war Dr. Vergil Randolph, Professor für Latein und Griechisch. Meine Mutter war die Tochter eines ebenso gelehrten Mannes, der gleichfalls in diesen heiligen Hallen amtierte. Ihre Hochzeit erfreute alle Welt. Ihr Heim war ein Backsteinhaus in einer von Bäumen beschatteten Straße. Sie hatten Tanten und Onkel und Kusinen und erlauchte Ahnen, und sie waren tadellose Leute. Alle miteinander.
    Im Verlauf von fünfzehn Jahren wurden Dr. Randolph und seine Frau mit drei Söhnen und zwei Töchtern beglückt. Die Kinder waren klug und hübsch und wußten sich anständig zu benehmen, und ihre Eltern und alle Verwandten waren sehr stolz auf sie. In ganz Philadelphia konnte man keine angesehenere Familie als die Randolphs finden. Sie machten der Gemeinde Ehre. Sie machten der menschlichen Rasse Ehre. Und glaubt mir: Sie wußten das auch.
    Alles bei den Randolphs war in Butter. Und dann, als das jüngste Kind zehn Jahre alt war, mußte Mrs. Randolph zu ihrem Entsetzen feststellen, daß sie sich noch

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