Alles hat seine Zeit
der Schlaf düsterer war als das Wachsein; schauen: all das, was ich nicht anrühren durfte; hoffen: auf die Heilung, die nicht mehr
kommen würde. Alle anderen Worte waren für immer ausgewischt. Könnte ich einen so dürftigen Wortschatz auf«sie»anwenden, die sich ins Wasser warf, ohne sich auszukleiden, und mir winkte, ihr zu folgen? Würde sie sich aufopfern an meiner Seite, auf ihre unvermuteten Verrücktheiten (derentwegen ich sie liebte) verzichten, würde ich sie alt und hässlich werden sehen neben mir, während sie zu lächeln versuchte? Würde ich sie vor sich hin singen hören, damit ich an ihre Ruhe glauben solle? Die Jahre würden aus dreihundertfünfundsechzig Tagen und dreihundertfünfundsechzig Nächten bestehen, die man alle mit offenen Augen zu leben hatte; sie würde das Schluchzen in ihrem Zimmer ersticken, in das ich nie eintreten würde. Welches Recht hatte ich, ihr eine Gefangenschaft aufzuerlegen, die entsetzlicher war als die meine?
Sie würde in mein Zimmer kommen und sagen:«Heute ist die Hand besser», oder:«Ich hab dir ein schönes Buch gekauft», oder auch:«Sollten wir nicht einen anderen Arzt aufsuchen?»Dies, wenn alles gutginge. Aber dann war da das Krankenhaus (ja, ich würde in einem Krankenhaus landen), voller Studenten, die manchmal vorbeikommen und Zigaretten rauchen, um ihre Übelkeit zu überwinden, und die noch zu jung sind, um höfliche Gleichgültigkeit vorzutäuschen.
Zwölf Tage waren verstrichen seit der Abfahrt des Dampfers, und zu dieser Stunde las sie meinen Brief wieder und fragte sich, warum ich diese verzweifelten Worte geschrieben hatte. Ich war dumm gewesen, sie hinzuschreiben; auch bei dieser Gelegenheit hatte ich mein Bedürfnis nach Schutz mit ihrem Verlangen, Nachricht zu erhalten, verwechselt. Ich hatte ihr nun nicht mehr geschrieben, und ich würde ihr noch viele Tage nicht schreiben können. Und ihre alten Briefe gaben mir jetzt überhaupt keinen Trost, da ich wusste, dass sie an einen anderen Menschen gerichtet waren, an einen, den sie kannte, nicht an mich, einen Unbekannten. Was hatte ich noch mit dem jungen Mann gemein, der ihr Briefe schrieb voller Liebe, aber auch voller Anspielungen auf ein Leben, das wir zusammen leben wollten? Ich hatte ihr geraten, den Garten in Ordnung bringen zu lassen, bestimmte Sachen zu kaufen und andere zu verkaufen; und wir schrieben uns von einem Kind, das wir erwarten und im Leben vorwärtsbringen wollten, von einem Kind, das all unsere Fehler und unsere Tugenden haben würde, oder vielleicht nur unsere Fehler, da erst die Erfahrung uns die Tugenden lehrt und es nutzlos ist, sie vorwegzunehmen.
Unser Bund, in einer Kirche verkündet, war zerbrochen im Hof einer anderen Kirche, an den
Händen der beiden Mädchen. Wie ein unerbittlicher Gläubiger würde ich den Heiratsvertrag geltend machen, ihren Beistand fordern und ihr jedes Mitleid für mein Missgeschick abverlangen müssen. Ich konnte sie nicht darum bitten, an meiner Seite zu leben. Oder würde ich in der Garage wohnen, in der Hundehütte, nur um sie durch die Fensterscheiben anzuschauen?
Während ich mir dies ausmalte, vernahm ich plötzlich ein Geräusch und sprang auf die Füße, denn auch die Schatten erschreckten mich jetzt. Es war nur das Maultier, das herankam, vom Feuer angezogen oder auf der Suche nach Gesellschaft. Es legte sich schwerfällig hin, und als ich anfing, ihm die Kruppe zu streicheln, bewegte es den Kopf und scheuerte ihn am Boden, ganz glücklich. Es wusste nichts von meiner Wunde und ließ es geschehen.«Mein Lieber», sagte ich zu ihm,«es steht gar nicht gut. Gib du mir doch einen Rat. Ich habe dies und jenes getan, um ‹sie› wiederzusehen, und was habe ich erreicht? Dass ich sie nicht so bald wiedersehen werde. Ich habe einen Haufen Dummheiten gemacht, um ins Paradies zu kommen, und da bin ich jetzt in dieser Art Hölle gelandet und frage mich, was geschehen wird. Ich weine nicht über das Vergangene, aber ich möchte doch wissen, ob es richtig ist, dass Maultiere an den Wegkreuzungen krepieren müssen
in diesem großen Afrika. Ich möchte noch etwas anderes wissen: All das, was ich getan habe, habe ich es für sie oder für mich getan? Das ist eine peinliche Frage.»
Das Maultier fuhr fort, sich zu scheuern, und aus Johannes’ Hütte drang ein Brummen, das Brummen des Zimmernachbarn, der um fünf Uhr aufstehen muss und sich die Schlaflosigkeit der anderen nicht erklären kann. Ich schwieg und streckte mich neben dem Maultier
Weitere Kostenlose Bücher