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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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Johannes stellte keine Fragen; er grüßte mich kaum, ging in seine Hütte und kam bald darauf wieder hervor, um das Feuer anzuzünden und sich in der Blechbüchse irgendein Getränk zu brauen. Er schien bester Stimmung zu sein, richtete häufig das Wort ans Maultier und gab ihm sogar ein Stück Brot.
    Er hatte einige Eier und eine Tüte Mehl mitgebracht; vielleicht war er im Dorf gewesen, es musste einen mir unbekannten Pfad geben, der dorthin führte. Aber diese Zigarette? Er hatte wohl einen Soldaten darum gebeten, oder man hatte sie ihm in demselben Dorf geschenkt (es sei denn, dass es sich einfach um eine eifersüchtig gehütete Kippe handelte). An der Art, wie er die Zigarette zwischen den Lippen hielt, sah man, dass er zum ersten Mal rauchte. Er vergeudete sie! Als er sie zu Ende geraucht hatte, warf er den Stummel prahlerisch zu mir hin, doch ich glaube nicht, dass er es absichtlich tat. Dennoch, ich zertrat den Stummel voller Wut, und in noch größere Wut geriet ich über mein kindisches Benehmen.

6
    Jetzt zog ich es vor, tagsüber zu schlafen und nachts zu wachen. Ich schlummerte im Morgengrauen ein, und mein Schlaf dauerte bis zum späten Nachmittag. Ich schlief in der Hütte, und zu den Stimmen, die ich bei der größten Mittagshitze in meinen wirren Träumen vernahm, gesellten sich die wirklichen Stimmen von Johannes und dem Maultier. Seitdem ich mich in der Hütte einschloss, redete der Alte immerzu: Es war seine Art, sich Gesellschaft zu leisten. Manchmal redete er, mit unvermuteter Koketterie, meine Sprache; er sagte nichts sehr Wichtiges, meistens beschränkte er sich darauf, die Handlung zu beschreiben, die er in dem Augenblick gerade ausführte. Zum Beispiel sagte er:«Jetzt nimmt Johannes das Wasser und stellt es aufs Feuer», oder auch:«Jetzt fange ich an, die Pfähle zu schneiden», und so in einem fort, kurze Sätze, die zu mir drangen wie willkommene Botschaften, denn sie besagten, dass Johannes sich nicht entfernt hatte und dass auf der Lichtung alles in Ordnung war.
    Manchmal hingegen redete er sehr rasch in seiner eigenen Sprache, und ich war sicher, dass er sich an das Maultier wandte, obschon ich mir den Sinn der Reden schwer vorstellen konnte. Aber ich weiß, dass er mit dem Maultier sprach; und
fast immer endeten seine Worte mit einem Geräusch, als schlage er mit einem Pfahl auf die Kruppe des Tieres; doch es waren freundschaftliche Klapse, denn gleich darauf war das Traben des Maultiers zu hören, das sich bis zum äußersten Ende der Lichtung entfernte und dann zurückkam. Darauf fing Johannes wieder von vorn an. Aber dieser Lärm war mir nicht lästig, oder wenigstens hatte ich gelernt, ihn zu schätzen; und im Halbschlaf ahnte ich oft Johannes’ Worte wie auch seine Handlungen voraus, und ich täuschte mich fast nie. Es muss hinzugefügt werden, dass Johannes meine Zurückhaltung dankbar bemerkte: Mich nicht von morgens bis abends in meine traurigen Gedanken versunken auf der Lichtung zu sehen, machte ihm meine Anwesenheit gewiss erträglicher. Zwischen uns hatte sich stillschweigend ein Waffenstillstand eingestellt: Ich vermied, ihn zu bedrohen oder meine Autorität geltend zu machen, und er hatte seine Unverschämtheit abgelegt. Wenn ich das Wort an ihn richtete, antwortete er höflich, und oft war er es selbst, der das Gespräch anknüpfte. Ja, nach jener Nacht hatte er mir sogar angeboten, Eier und Mehl für mich zu kaufen gegen ein lächerliches Entgelt, und ich, eingedenk seiner ersten Ablehnung, hatte nicht versucht, ihn dazu zu bewegen, mehr dafür anzunehmen.

    Am Nachmittag des zwölften Tages entfernte ich mich von der Lichtung und ging zur kreisförmigen Hütte, die ich auf dem Weg zum Nebenfluss flüchtig gesehen hatte. Johannes sah mich fortgehen, aber er sagte nichts, und bald darauf stand ich vor der Hütte. Sie schien besser gebaut zu sein als diejenigen, die auf der Lichtung standen. Um hineinzukommen, musste man drei Stufen aus gestampfter Erde hinaufsteigen. Der Fußboden lag nicht auf der gleichen Ebene wie der Pfad, und dies genügte, die herumstreunenden Tiere und die Ameisen, von denen es hier wimmelte, am Eindringen zu hindern. Die dünnen, aber mit Tünche gestrichenen Wände und das mit regelmäßig gepresstem Stroh bedeckte konische Dach verliehen dieser Hütte das Aussehen eines Jagdpavillons. Es gab keine Tür. Vermutlich hatte man sie ausgehängt, denn die Angeln waren vorhanden. Auch das Innere war kreisförmig, maß vielleicht sechs Schritte im

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