Alles hat seine Zeit
Tragbahre bereit, indem ich frische Zweige zwischen Johannes’ Pfähle flocht. Ich würde den Leichnam zum Nebenfluss tragen müssen, um jede Spur zu verwischen, wenngleich niemand, außer Elias, sich je fragen würde, was mit dem Alten geschehen sei. Und wer würde schon auf ein Kind hören? Ja, sogar Elias selbst würde sich nicht über das Verschwinden des Alten wundern. Und ich durfte nicht auf den Vorteil verzichten, den ich gegenüber meinen Verfolgern erreicht hatte.
Nach einer halben Stunde war die Tragbahre bereit; ich kontrollierte die Pistole.
Ich war gerade im Begriff, zur Hütte zu gehen, als mir bewusst wurde, dass ich nicht schießen würde. Ich würde nicht schießen können, und zwar nicht aus Widerwillen, sondern aus Unfähigkeit. Nachdem der Schuss auf den Doktor fehlgegangen und dann der Anschlag auf den Major misslungen war, fühlte ich mich außerstande,
einen neuen Versuch zu unternehmen. Mehrere Male trat ich in Johannes’ Hütte ein, und immer ging ich entmutigt wieder hinaus. Die Zielscheibe lag dort mit geschlossenen Augen und atmete kaum, sie würde sich nicht bewegen, nicht einmal den Kopf; und doch weigerte sich meine Hand, die Waffe zu ergreifen. Ich blieb ungeduldig auf der Schwelle stehen, indem ich mir sagte, dass dieser unnütze Alte meine Einschiffung zunichtemachen könne und dass ich ihn deshalb umbringen müsse.«Ja», sagte ich,«ihn umbringen. Aber es wird mir nicht gelingen.»
Ich begann auf der Lichtung hin und her zu gehen, während ich mich mit Argumenten zu überreden suchte, die mir zwar einleuchteten, mir aber immer mehr Kraft nahmen.«Ich begreife», sagte ich,«aber ich werde es nicht tun.»Und ich gab mir zur Antwort:«Mut, du musst es versuchen, du darfst dich nicht unterkriegen lassen.»
Nach einer Stunde derartiger zermürbender Überlegungen kam ich zu einem Kompromiss. Ich wollte ihn nicht töten, sondern ihm nur damit drohen; ich wollte ihm zu verstehen geben, dass ich bereit sei, ihn zu töten, wenn er versuchte, mich zu verraten. Froh über meinen Beschluss, nahm ich die Tragbahre wieder auseinander. Doch was konnte es Johannes eigentlich ausmachen zu sterben? Jede Drohung würde ihn in
seiner Absicht nur bestärken. Besser, ihm keinen Vorwand zu liefern mit meinen albernen Drohungen.«Vielleicht wird er wirklich vergessen», folgerte ich.
Gegen Abend beschloss ich endlich, am nächsten Morgen das Dorf zu verlassen; dies war die sicherste Art, den Rachedurst des Alten zu beschwichtigen. Ich wollte fortgehen, aber das Maultier (es ist ohnehin schwierig, dachte ich, das Tier dazu zu bewegen, dass es mir folgt) und viel Geld wollte ich ihm dalassen. Johannes, der wohl imstande war, fünfhundert Lire abzulehnen, würde doch zögern, wenn es sich um fünftausend handelte. Er würde sich unversehens reich fühlen und mir die andere Backe hinhalten und verzeihen.
In dieser Nacht schlief ich neben der Hütte des Alten, um ihn zu überwachen. Ich hatte den Tornister gepackt, bereit, im Morgengrauen aufzubrechen; doch als die Dämmerung sich ankündigte, wurde mir klar, dass ich mich nur widerwillig auf den Weg machen und nicht leicht die Kraft finden würde, aus diesem Dorf fortzugehen, das ich doch eigentlich hasste. Mittlerweile waren sechsundzwanzig Tage verstrichen, und dieser Hügel erschien mir als der sicherste Ort. Ich hatte den Fehler der Verfolgten begangen, die sich verschanzen und nicht mehr fähig sind, ihre Höhle zu verlassen, in der sie lieber sterben als das
Schicksal versuchen, indem sie herauskommen.«Ich muss gehen», sagte ich mir immer wieder, während ich diese Bäume ansah, die mir jetzt wie Freunde vorkamen; diese Natur, die langsam aus dem nächtlichen Schatten emportauchte; diese Hütten, die mich weiterhin hätten beherbergen können.«Wenn ich nicht heute fortgehe, ist es das Zeichen, dass ich es nicht mehr versuchen will und mein Leben wirklich an diesem Ort zu beschließen wünsche.»
Ich schnallte daher den Tornister auf den Rücken, nahm das Geld aus der Tasche und trat in Johannes’ Hütte ein. Er war wach, er hatte gehört, wie ich den Tornister packte, und er hatte auch meine Selbstgespräche gehört. Jetzt lag er ganz still da in seinem kleinen Bett und erwartete mich.«Leb wohl, Johannes», sagte ich. Ich legte das Geld auf einen Hocker und teilte ihm mit, dass ich das Maultier nicht mitnähme. Er solle es ruhig behalten. Wie ich vorausgesehen hatte, sah Johannes das Geld an, zählte es und versteckte es in den Falten
Weitere Kostenlose Bücher